Dritter Artikel. Es mußte viele Ceremonialvorschriften geben.
a) Wenige mußten deren sein. Denn: I. Das Zweckdienliche muß dem Zwecke entsprechen. Die Ceremonialvorschriften aber haben zum Zwecke den Kult Gottes und das Vorbilden Christi, wovon geschrieben steht: „Einer ist euer Gott, von dem Alles; und Einer der Herr Jesus Christus, durch den Alles.“ 1. Kor. 8. II. Die Menge solcher Vorschriften war eine Gelegenheit zu deren Übertretung, wie Petrus sagt (Act. 15, 10.): „Was versucht ihr Gott, daß ihr auflegen wollt auf den Nacken der Schüler ein Joch, welches weder wir noch unsere Väter tragen konnten?“ III. Die Ceremonialvorschriften richteten sich auf den äußerlichen und körperlichen Kult Gottes. Ein derartiger Kult aber mußte durch das „Gesetz“ eher vermindert werden, da dieses zu Christo hinlenkte, der die Menschen lehrte, „im Geiste und in der Wahrheit Gott anzubeten.“ Auf der anderen Seite steht geschrieben bei Osee 8.: „Aufschreiben werde ich ihm meine vielfachen Gesetze;“ und Job 11.: „Damit Er dir zeige die Geheimnisse der Weisheit, daß Vieles enthält sein Gesetz.“
b) Ich antworte, jedes Gesetz werde einem Volke gegeben. Zwei Arten von Menschen aber finden sich da: die zum Bösen Geneigten, die das Gesetz züchtigen muß; und die von Natur oder aus Gewohnheit oder vermöge der Gnade zur Tugend Hingeneigten, die das Gesetz unterrichten und zum Besseren führen muß. Und mit Rücksicht auf beide Arten von Menschen mußten die Ceremonialvorschriften im „Gesetze“ vervielfältigt werden. Denn es waren da viele, die zum Götzendienste hinneigten; deshalb mußten diese durch Ceremonialvorschriften zum Kulte des einen wahren Gottes gezogen werden. Und weil in vielfacher Weise die Menschen Götzendienst trieben, deshalb mußten viele derartige Ceremonialvorschriften im einzelnen sein. Zudem mußte man sie gleichsam beschweren mit vielen Vorschriften, damit sie so veranlaßt würden, am Kulte Gottes teilzunehmen und keine Zeit hätten für den Götzendienst. Aber auch von seiten der zum Guten Geneigten bedürfte es einer Menge Ceremonialvorschriften, damit in verschiedenartigster Weise ihr Geist zu Christo mehr und mehr hingewendet würde und damit auch das Mysterium Christi, das durch diese Vorschriften versinnbildet wurde, vielfachen Nutzen für die Welt brächte.
c) I. Wenn ein Zweckdienliches genügend ist, so bedarf es nicht mehrerer; wie wenn eine Medizin wirksam ist, nicht mehrere genommen werden müssen, um die Gesundheit zu erlangen. Jedoch die Ceremonien des Alten Gesetzes waren unzureichend und ohnmächtig einzeln für sich, um die Fülle des Geheimnisses Christi auszudrücken und uns Gott unterwürfig zu machen. Vgl. Hebr. 7, 18. II. Der Gesetzgeber muß kleinere Übertretungen zulassen, will anders er weise sein; damit größere vermieden werden. Auf daß also die Sünde des Götzendienstes und des Hochmuts vermieden werde, welche Wurzel gefaßt hätte im Herzen der Juden, wenn sie alle Vorschriften des „Gesetzes“ erfüllt haben würden; — deshalb unterließ Gott nicht, viele Ceremonialgesetze zu geben, denn es war dann leicht, eines zu übertreten und so sich zu verdemütigen. III. Thatsächlich hat das Gesetz in vielen Dingen den äußeren Kult verringert. So z. B. durfte nicht an jedem Orte und nicht von jedem geopfert werden. Jedoch durfte die Verminderung nicht so weit gehen, daß die Menschen in den Kult der Dämonen gefallen wären.
