Erster Artikel. Der Neue Bund ist kein geschriebenes Gesetz.
a) Das Gegenteil steht: I. Joh. 20.: „Dies ist geschrieben, damit ihr glaubet.“ II. Röm. 2. heißt es: „Von Natur thun sie, was das Gesetz gebeut; denn das Werk des Gesetzes ist geschrieben in ihren Herzen.“ Wäre der Neue Bund sonach nicht das Evangelium selber, also geschrieben, so würde er sich vom Naturgesetze nicht unterscheiden. III. Das Evangelium ist jenen allein eigens entsprechend, die im Neuen Bunde sind. Das den Herzen eingeprägte Gesetz aber ist gemeinsam denen im Alten und denen im Neuen Bunde. Denn Sap. 7. heißt es: „Die göttliche Weisheit übermittelt sich durch die Nationen hin den heiligen Seelen und macht Freunde Gottes und Propheten.“ Also der Neue Bund ist kein den Herzen eingeprägtes Gesetz. Auf der anderen Seite ist das Gesetz des Neuen Bundes das Neue Gesetz selber. Der Apostel aber (Hebr. 8.) sagt unter Beziehung auf Jerem. 31.: „Siehe; Tage werden kommen, spricht der Herr, und ich werde vollenden über das Haus Israel und das Haus Juda einen Neuen Bund; denn das ist der Bund, den ich vorbereite für das Haus Israel: Meine Gesetze werde ich in ihre Herzen einprägen und auf ihren Geist will ich schreiben.“ Also ist der Neue Bund, resp. sein Gesetz, den Herzen eingeprägt.
b) Ich antworte, daß nach Aristoteles (9 Ethic. 4.) „ein jedes Ding das zu sein scheint, was das Hauptsächlichste in ihm ist.“ Das Hauptsächlichste aber im Neuen Bunde und worin seine ganze Kraft besteht, ist die Gnade des heiligen Geistes, welche durch den Glauben Christi gegeben wird. Das Gesetz des Neuen Bundes also ist die Gnade Christi selber, die den Gläubigen Christi gegeben wird. Und das ergiebt sich offenbar aus den Worten Pauli (Röm. 3.): „Wo ist also das, dessen du dich rühmest? Ausgeschlossen ist es; — durch welches Gesetz? Durch das der Werke? Nein; sondern durch das Gesetz des Glaubens;“ die Gnade des Glaubens selber also nennt er Gesetz. Und noch ausdrücklicher Röm. 8.: „Das Gesetz des Geistes des Lebens in Christo hat mich befreit vom Gesetze der Sünde und des Todes.“ Deshalb sagt Augustin (de spir. et litt. c. 17. et 26.): „Wie das Gesetz der Werkgerechtigkeit geschrieben war auf steinernen Tafeln, so ist das Gesetz des Glaubens geschrieben in den Herzen der Gläubigen;“ und l. c. c. 21.: „Was sind das anders für Gesetze, die geschrieben sind von Gott selber in den Herzen, wie die Gegenwart des heiligen Geistes.“ Jedoch schließt das Gesetz des Neuen Bundes Manches ein, was vorbereitet zur Gnade des heiligen Geistes und zu dem, was zum Gebrauche dieser Gnade gehört, was also in diesem Gesetze erst an zweiter Stelle kommt; und darüber müssen die Gläubigen in Wort und Schrift unterrichtet werden, sowohl wie weit es auf das zu Glaubende ankommt als auch auf das zu Thuende. An erster Stelle also ist das Gesetz des Neuen Bundes eingeprägt den Herzen; an zweiter Stelle ist es geschrieben.
c) 1. Das Evangelium enthält nur das, was vorbereitet zur Gnade des heiligen Geistes oder was den Gebrauch derselben regelt. Im ersten Sinne, als vorbereitend die Vernunft zum Glauben, durch den die Gnade des heiligen Geistes gegeben wird, steht im Evangelium das was zur Offenbarung der Gottheit oder der Menschheit Christi gehört; als vorbereitend die Hinneigung des Willens aber steht das, was zur Verachtung der Welt gehört, wodurch der Mensch geeignet wird für die Gnade des heiligen Geistes. Denn die Welt, soweit sie geliebt wird, kann (Joh. 14) nicht fassen den heiligen Geist. Der Gebrauch ferner der Gnade des heiligen Geistes besteht in den Werken der Tugenden, wozu in vielfacher Weise die Menschen ermahnt werden durch die heilige Schrift des Neuen Testamentes. II. Das dem Herzen Eingeprägte kann zur Natur des Menschen gehören; und dann ist es das Naturgesetz; — es kann ferner etwas zur Natur Hinzugefügtes sein wie durch das Geschenk der Gnade; und dann ist es das Gesetz des Neuen Bundes, welches nicht nur anzeigt, was zu thun ist, sondern auch wirksam hilft, es zü erfüllen. III. Keiner hat je den heiligen Geist anders gehabt als vermittelst des Glaubens an Christum, sei es daß dieser in einigen äußeren Zeichen eingeschlossen war sei es daß er ausdrücklich bekannt wurde. Durch den Glauben an Christum aber gehört der Mensch zum Neuen Bunde. Wer auch immer also das Gesetz der Gnade in sich hatte, der war danach zu allen Zeiten dem Neuen Testamente angehörig.
