Erster Artikel. Über die Hoffnung mußte man ein Gebot geben.
a) Keines Gebotes bedürfte es rücksichtlich der Hoffnung. Denn: I. Die natürliche Hinneigung bereits führt den Menschen in völlig, genügender Weise zur Hoffnung. Also bedarf es keines Gebotes. II. Sollte rücksichtlich der Hoffnung ein Gebot am Platze sein, so müßte unter den hauptsächlichen Geboten, den zehn Geboten nämlich, ein betreffendes sich finden; handelt es sich doch um eine theologische, also um eine Haupttugend. Da wird aber kein Gebot über die Hoffnung gegeben. III. Im vorausgesetzten Falle müßten auch Gebote bestehen, welche die Verzweiflung und das freventliche Vornehmen verbieten; was nicht der Fall ist. Also war es nicht zukömmlich, ein Gebot rücksichtlich der Hoffnung zu geben. Auf der anderen Seite sagt Augustin zu Joh. 15. (Hoc est praeceptum): „Wie viele Gebote sind uns gegeben rücksichtlich des Glaubens; wie viele rücksichtlich der Hoffnung!“
b) Ich antworte, unter den Geboten in der heiligen Schrift betreffen manche die Substanz des Gesetzes, manche das zum Gesetze Vorbereitende. Unter Letzterem werden die Grundbedingungen verstanden, unter deren Voraussetzung allein das Gesetz bestehen kann. Zu den darauf bezüglichen Geboten nun gehören die, welche den Akt des Glaubens und der Hoffnung betreffen. Denn durch den Akt des Glaubens wird der Geist des Menschen hingeneigt, daß er den Gesetzgeber als einen solchen anerkenne, dem Unterwürfigkeit gebührt; — durch die Hoffnung auf den Lohn wird er eingeladen zur Beobachtung der Gebote. Jene Gebote aber, welche die Substanz des Gesetzes betreffen, werden dem Menschen auferlegt in der Voraussetzung daß sein Geist dazu vorbereitet und bereit ist, in Allem zu gehorchen, was zu einem tugendhaften Leben gehört. Solche Gebote also werden gleich im Beginne in der Weise von Geboten veröffentlicht. Die Gebote rücksichtlich des Glaubens und der Hoffnung durften demgemäß nicht in der Weise von Geboten vorgelegt werden; denn wenn der Mensch nicht glaubte und hoffte, so würden ihm unnützerweise Gesetze gegeben. Wie nun das Gebot des Glaubens vorzulegen war in der Weise einer Ankündigung oder Erwähnung (Kap. 16, Art. 1), so war das Gebot der Hoffnung vorzulegen in der Weise von Verheißungen. Wer nämlich dem gehorchenden Belohnungen verheißt, der reizt dadurch zur Hoffnung an. Alle Verheißungen also im Gesetze sind eben so viele Einladungen zur Hoffnung. Weil jedoch, nachdem das Gesetz einmal aufgelegt war, es Sache der Weisen ist, daß sie die Menschen nicht nur zur Beobachtung der Gebote anhalten, sondern auch auf das Fundament des ganzen Gesetzes hinweisen, so finden wir, daß nach der ersten Veröffentlichung des Gesetzes in der heiligen Schrift die Menschen vielfach angehalten werden zur Hoffnung; nicht nur vermittelst von Verheißungen, sondern auch durch positive Ermahnungen und Gebote; wie z. B. Ps. 61.: „Hofft auf Ihn, die ganze Versammlung des Volles;“ und Ps. 4, Ekkli. 2, Ose. 12 etc.
c) I. Zum natürlichen Guten genügt wohl die natürliche Hinneigung, um zu hoffen; nicht aber soweit es die übernatürlichen Güter betrifft. Da mußten Verheißungen sein und auch Gebote. Und für die natürlichen Tugenden mußten ebenso, damit die natürlichen Kräfte gefestigt würden, eigens Gebote gegeben werden. II. Die zehn Gebote gehören zur ersten Veröffentlichung. Deshalb sind da betreffs der Hoffnung nur Verheißungen vorhanden; und zwar im ersten und vierten. III. Wozu der Mensch gehalten ist infolge einer Verpflichtung, da genügt das affirmative Gebot; die entsprechenden Verbote sind darin eingeschlossen; wie z. B. kein Verbot gegeben worden, die Eltern zu mißhandeln. Dazu verpflichtet uns aber unser Heil, daß wir auf Gott hoffen; und deß halb sind da nur affirmative Gebote.
