Erster Artikel. Der Zank ist eine Todsünde.
a.) Dagegen spricht: I. In geistigen Männern findet sich keine Todsünde: „Unter den Jüngern“ (des Herrn) „aber entstand ein Zank, wer von ihnen der erste wäre.“ II. Niemandem darf eine Todsünde gefallen. Paulus aber schreibt (Phil. 1.): „Manche verkünden Christum aus Zanksucht“ …. und fügt gleich darauf hinzu: „Und darüber freue ich mich und werde mich auch in Zukunft freuen.“ Also ist der Zank keine Todsünde. III. Manche zanken sich, nicht in böser Absicht sondern vielmehr wegen etwas Gutem; wie jene, die mit den Ketzern disputieren. Deshalb bemerkt die Glosse zu 1. Kön. 14.: „Die Katholiken gehen nicht eher gegen die Häretiker vor, um mit ihnen zu disputieren, als sie gereizt worden sind.“ Da ist also keine Todsünde. IV. Job scheint mit Gott disputiert zu haben, nach Job 39, 32.: „Oder wer da Gott gegenüber seine Meinung verficht, giebt sich der so leicht zufrieden?“ Und doch hat Job keine schwere Sünde begangen, wie der Herr selbst es ausspricht: „Nicht habt ihr recht vor mir gesprochen wie mein Diener Job.“ Auf der anderen Seite ist solcher Zank dem Gebote des Apostels entgegen (2. Tim. 2.): „Zanke nicht mit Worten“ und (Gal. 5.): „Wer dies thut (nämlich die Werke des Fleisches, unter denen der Zank aufgeführt wirb), wird das Reich Gottes nicht besitzen.“ Also ist der Zank eine Todsünde.
b) Ich antworte; wie die Zwietracht einen Gegensatz einschließt in der Willensrichtung, so der Zank in den Worten. Ein solcher Gegensatz nun in der Rede kann in zweifacher Weise erwogen werden: entweder mit Rücksicht auf die Absicht oder mit Rücksicht auf die Art und Weise. Nach der ersten Seite hin muß erwogen werden, ob jemand in Gegensatz zur Wahrheit tritt; denn das ist tadelnswert; — oder ob er in Gegensatz zum Falschen tritt; denn das ist lobenswert. Nach der zweiten Seite hin muß man erwägen, ob die Art und Weise zu widersprechen, den Personen und Verhältnissen entspricht; denn das ist lobwert, wie Cicero jagt (3 Rhet. ad Heren.), der Widerspruch sei eine scharfe Redeweise, passend, um zu bekräftigen und zu widerlegen; — oder ob die Art und Weise zu widersprechen sich über die Personen und die Sachlage erhebe; denn das verdient Tadel. Schließt also nun solcher Zank einen Gegensatz gegen die Wahrheit ein und eine ungeregelte Art und Weise; so ist derselbe Todsünde. Danach definiert Ambrosius: „Zanken heißt die Wahrheit angreifen im Vertrauen auf Schreien.“ Richtet sich aber der Zank gegen das Falsche und vollzieht er sich in der gebührenden Art und Weise, so ist er lobenswert. Wird die Wahrheit wohl verteidigt, aber ungeregelterweise, so kann dies läßliche Sünde sein; es müßte denn die Regellosigkeit eine solche sein, daß dadurch ein Ärgernis entsteht; weshalb der Apostel zu den angeführten Wortötf (2. Tim. 2.) hinzufügt: „Denn es dient zu nichts als zur Verwirrung der zuhörenden.“
c) I. Bei den Jüngern war der Zank nicht gegen die Wahrheit gerichtet, denn jeder meinte das Wahre zu verteidigen. Es war die Art und Weise aber ungeregelt; denn „sie waren noch nicht“, wie Beda (6. Comment. in Luc. cap. 22.) sagt, „geistige Männer“, so daß der Herr ihnen Einhalt that. II. Jene, die aus Zank Christum verkündigten, waren zu tadeln; nicht als ob sie nicht die Wahrheit verkündet hätten, aber weil sie meinten, dem Apostel, der die Glaubenswahrheit predigte, „Verlegenheit zu bereiten.“ Paulus freute sich also nicht an ihrem Beweggrunde, sondern an dem, was daraus folgte, daß nämlich Christus verkündet ward; denn auch die Übel sind oft Gelegenheit für Gutes. III. Soll der Zank als vollendete Todsünde dastehen, so muß jener, der vor Gericht seine Meinung vertritt, die Wahrheit bekämpfen; und, wer disputiert, die Wahrheit des Glaubens angreifen. Und danach zanken die Katholiken nicht mit den Ketzern, sondern vielmehr umgekehrt. Wird aber nicht immer in der gehörigen Art und Weise gesprochen, so besteht keine Todsünde. IV. Job sprach: „Zum Allmächtigen will ich sprechen und mit Gott zu disputieren wünsche ich;“ nicht als ob er hätte die Wahrheit bekämpfen oder ungebührlicherweise sprechen wollen, sondern weil er sich unterrichten wollte.
