Zweiter Artikel. Der Streit ist ein Kind des Zornes.
a) Dies scheint nicht der Fall zu sein. Denn: I. Jakob 4. heißt es: „Woher ist Streit und Krieg unter euch? Nicht infolge euerer Begierlichkeiten, die in eueren Gliedern kämpfen?“ Also kommt der Streit vielmehr aus den Begierden. II. Prov. 28. wird gesagt: „Der sich rühmt und aufbläht, verursacht Streit.“ Also kommt er von Eitelkeit. III. Prov. 18. steht: „Die Lippen des Thoren mischen sich in den Streit.“ Thorheit aber ist nicht Zorn. IV. Prov. 10. erklärt: „Der Haß veranlaßt Streit.“ Der Haß aber kommt vom Neide. V. „Der da anfacht Zwietracht, säet Streit,“ nach Prov. 17. Die Zwietracht aber kommt von der Eitelkeit. Auf der anderen Seite erklärt Gregor (31. moral. 17.): „Vom Zorne kommt der Streit“ und ebenso Prov. 5, 18.
b) Ich antworte, der Streit besage einen gewissen Gegensatz, der bis zu Thätlichkeiten sich versteigt, so daß der eine den anderen verletzen will. In zweifacher Weise aber will jemand einen anderen verletzen: entweder schlechthin, insofern er dessen Übel beabsichtigt; das ist Haß, dessen Absicht dahin geht, mag es offen oder insgeheim sein, dem Feinde zu schaden; — oder es bezweckt jemand die Verletzung des anderen, so daß dieser es weiß und sich widersetzt; das will der Ausdruck „Streit“ besagen und gehört dies so recht eigentlich zum Zorne, der da ist Begehren nach Rache. Denn dem erzürnten genügt es nicht, daß er insgeheim dem schadet, welchem er zürnt; vielmehr will er, daß dieser es wisse und fühle und daß er gegen seinen bewußten Willen etwas leide als Vergeltung dessen, was er gethan; wie dies aus dem hervorgeht, was I., II. Kap. 46, Art. 6 ad II. über den Zorn gesagt worden ist. So also ist der Zorn die Quelle des Streites.
c) I. Alle Leidenschaften der Abwehrkraft (irascibilis) kommen von denen in der Begehrkraft; und so hat das, was zunächst vom Zorne kommt, seinen entfernteren Grund im Begehren. II. Sich zu rühmen und aufzublasen ist nicht direkt Quelle von Streit, aber Gelegenheit dazu. Denn der andere wird dadurch zum Zorne gereizt und nimmt es als eine Beleidigung, daß sein Gegner besser sein will als er. III. Der Zorn hindert das nüchterne Urteil der Vernunft und ist dem gemäß der Thorheit ähnlich; und so ist die Wirkung die nämliche, denn Mangel an Vernunft verursacht es, daß der eine den anderen ohne Grund verletzen will. IV. Der Streit kommt manchmal vom Hasse; er ist aber nicht eigentlich eine Wirkung desselben; denn in der Absicht des hassenden liegt es nicht, offen und streitsüchtigerweise den Feind zu verletzen. Manchmal will er ihm sogar nur insgeheim Schaden zufügen. Freilich sucht er die Verletzung in offenem Streite dann, wenn er meint, stärker zu sein. V. Aus dem Streite folgt Haß und Zwietracht. Wer also Zwietracht und Haß veranlassen will, der verursacht Streit zwischen diesen Personen. So kann ja jede Sünde anordnen die Thätigkeit einer anderen Sünde, um zu ihrem Zwecke zu gelangen. Deshalb aber ist der Streit noch nicht direkt und eigentlich ein Kind der eitlen Ruhmgier.
