Zweiter Artikel. Zulässigerweise sind im Alten Testamente Verbote von Sünden aufgestellt, welche der Klugheit entgegengesetzt sind.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Betreffs jener Sünden bestehen im Alten Testamente Verbote, welche mit der Klugheit eine scheinbare Ähnlichkeit haben; wie: „Du sollst deinen Nächsten nicht verleumden“ (Lev. 29.) und: „Du sollst in deinem Sacke nicht verschiedenes Gewicht haben, ein leichteres und ein schwereres.“ Also müßten da um so mehr jene Sünden verboten werden, welche offen und direkt zur Klugheit in Gegensatz stehen; was nicht der Fall ist. II. Nur im Kauf und Verkauf wird der Trug verboten; da doch ein solcher in vielen anderen Dingen statthaben kann. III. Der Akt der Klugheit ist im Gesetze nicht geboten. Also durften keinerlei entgegenstehende Sünden verboten werden. Denn der nämliche Grund gilt für Beides. Sonach sind derartige Verbote in unzulässiger Weise gegeben. Auf der anderen Seite steht die heilige Schrift.
b) Ich antworte, die Gerechtigkeit besage hauptsächlich den Charakter des Geschuldeten, der zu einem Gebote im allgemeinen gehört; denn die Gerechtigkeit richtet sich darauf, dem anderen zu geben, was ihm geschuldet ist. (Kap. 58, Art. 1.) Schlauheit aber findet sich zumeist in dem Bereiche, wo die Gerechtigkeit zu sagen hat. (Kap. 55, Art. 5.) Also war es zukömmlich, daß im Gesetze Verbote gegeben würden über die Ausführung des schlau Erdachten, insoweit dies zur Ungerechtigkeit gehört; wie wenn jemand mit List und Trug den anderen verleumdet oder dessen Besitz an sich reißt.
c) I. Jene Sünden, welche offen und direkt der Klugheit entgegenstehen, beziehen sich nicht so unmittelbar auf die Ungerechtigkeit wie die Ausführung des schlau Erdachten; und deshalb werden sie nicht so ausdrücklich im Gesetze verboten, wie List und Trug, welche offen die Ungerechtigkeit angehen. II. Alle List und aller Trug, der ein Unrecht in sich schließt, kann Lev. 19. als verboten verstanden werden, obgleich nur die Verleumdung erwähnt ist. Vorzugsweise aber findet sich List und Trug im Kauf und Verkauf, nach Ekkli. 26.: „Der Gastwirt wird nicht gerechtfertigt werden von der Sünde seiner Lippen.“ Deshalb ist diesbezüglich ein besonderes Gebot gegeben. III. Alle Gebote, welche die Thätigkeiten der Gerechtigkeit im Gesetze betreffen, gehören in das Bereich der Klugheit, soweit es auf die Ausführung und Bethätigung derselben ankommt; wie ja auch die Verbote zu stehlen, zu verleumden, betrügerisch zu verkaufen, die Schlauheit betreffen, soweit es darauf ankommt, das schlau Erdachte auszuführen.
