Zweiter Artikel. Die Ohrenbläserei ist eine größere Sünde wie die Verkleinerung.
a) Das Gegenteil scheint wahr. Denn: I. Die Sünden in Worten bestehen darin, daß jemand Schlechtes sagt. Der Verkleinerer aber sagt immer und schlechthin Schlechtes; der Ohrenbläser jedoch sagt auch schlechthin Gutes, wenn es nur dem hörenden mißfällt. II. Wer jemandem den guten Ruf nimmt; der nimmt ihm nicht einen, sondern viele Freunde, da man mit Personen, die in schlechtem Rufe stehen, nicht verkehren will. Der Ohrenbläser aber nimmt nur einen Freund. III. Jakob. 4. heißt es: „Wer seinen Bruder verkleinert, der verkleinert zugleich das Gesetz“ und demnach den Gesetzgeber, Gott. Also ist die Verkleinerung eine Sünde gegen Gott und somit eine höchst schwere; während die Ohrenbläserei nur gegen den Nächsten sich richtet. Auf der anderen Seite wird Ekkli. 5. gesagt: „Als sehr schlecht bezeichne ich den Doppelzüngigen: dem Ohrenbläser aber Haß und Feindschaft und Schande.“
b) Ich antworte, die Sünde gegen den Nächsten sei um so schwerer, je größer der dem Nächsten verursachte Schaden ist. Dieser Schaden aber ist um so größer, je höher das dadurch verlorene Gut steht. Unter den übrigen äußeren Gütern nun ragt hervor die Freundschaft; denn „ohne Freunde kann niemand leben.“ (8 Ethic. 1.) Deshalb sagt Ekkli. 6.: „einem treuen Freunde kann nichts verglichen werden.“ Der gute Ruf selbst, den die Verkleinerung vernichtet oder vermindert, dient dazu am meisten, daß man geeignet sei, um Freunde zu gewinnen. Da also Freund besser ist wie die Ehre und geliebt werden höher steht wie geehrt werden“ (8 Ethic. 8.); so ist die Ohrenbläserei eine größere Sünde wie die Verkleinerung und auch wie die Schmähung.
c) I. Der Zweck bestimmt mehr den Grad der Schwere der Sünde wie der materielle Gegenstand. Wenn der Schmäher somit auch Schlechteres sagt, so ist doch die Verkleinerung eine größere Sünde, denn ihr Zweck ist verderblicher. II. Der gute Ruf bereitet in gewisser Weise die Freundschaft vor und der üble Ruf bereitet die Feindschaft vor. Wer also gegen das sündigt, was nur vorbereitend zur Freundschaft sich verhält; sündigt minder als wer gegen die Freundschaft selber sündigt. III. Wer den Nächsten verkleinert, sündigt gegen Gott, insoweit Gott die Nächstenliebe vorgeschrieben hat und „Gott die Liebe“ selber ist. Prov. 6. aber heißt es: „Sechs Dinge haßt der Herr und das sechste verabscheut durchaus seine Seele,“ nämlich „denjenigen, der unter den Brüdern Zwietracht säet.“ Also ist danach die Ohrenbläserei im höchsten Grade gegen die Liebe Gottes.
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