Dritter Artikel. Die Beschauung oder Betrachtung ist die Ursache der Andacht.
a) Das wird bestritten. Denn: I. Keine Ursache vermindert die Kraft ihrer Wirkung. Scharfsinniges Denken oder Betrachten aber hindert zuweilen die Andacht. II. Im vorgenannten Falle müßte die Betrachtung der höchsten Dinge mehr zur Andacht bewegen. Das thun aber erfahrungsgemäß in höherem Grade die niedrigeren, wie die Betrachtung des Leidens Christi etc., anstatt die der Größe Gottes. III. Es erscheint nicht, daß jene, die in höherem Grade fähig sind für die Betrachtung, auch immer mehr zur Andacht geneigt sind, was doch dann sein müßte. Auf der anderen Seite heißt es Ps. 38.: „In meiner Betrachtung wird Feuer entbrennen.“
b) Ich antworte, die Ursache der Andacht sei in erster Linie eine äußere; und zwar Gott. Deshalb sagt Ambrosius (sup. Luc. 9.): „Die Gott aus Barmherzigkeit will, beruft er; die er will, macht er religiös; hätte er gewollt, so würde er aus den unandächtigen Samaritern andächtige gemacht haben.“ Von innen aus aber kann die Ursache der Andacht keine andere sein wie die Beschauung oder Betrachtung. Denn Gegenstand des Willens ist das aufgefaßte, also ernst bedachte Gut. Bereitwillig sein aber zu Kulthandlungen ist ein Akt des Willens. Also geht dieser Akt aus einer gewissen Erwägung hervor wie jeder Willensakt. Deshalb sagt Augustin (l4. de Trin. 8.): „Der Wille geht vom Verständnisse aus.“ Dieses Verständnis oder diese Betrachtung nun ist eine doppelte: 1. werden die der göttlichen Güte gedankten Wohlthaten betrachtet, nach Ps. 72.: „Mir ist es ein Gut, Gott anzuhängen und auf den Herrn, meinen Gott, mein Vertrauen zu setzen;“ und diese Betrachtung verursacht Liebe, den nächsten Grund der Andacht; — 2. wird betrachtet die menschliche Schwäche, weshalb der Psalmist sagt (129, 1.): „Ich habe zu den Bergen meine Augen erhoben, von wo mir Hilfe werden wird; mein Beistand kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“ Und diese Betrachtung schließt die Vermessenheit aus, in der jemand gehindert wird, sich Gott zu unterwerfen; da er auf die eigene Kraft sich verläßt.
c) I. Die Betrachtung alles dessen, was zur Liebe Gottes hinzubewegen geeignet ist, verursacht Andacht; die Betrachtung dessen aber, was nicht dazu gehört, hindert die Andacht. II. Das rein Göttliche an sich betrachtet regt im höchsten Grade zur Liebe an und ist somit Ursache für die Andacht; weil Gott über Alles liebwert ist. Die Schwäche des Menschengeistes aber ist der Grund, daß wir sichtbarer Dinge bedürfen, um uns anzuleiten zur Gottesliebe. Und darunter steht in erster Reihe die Menschheit Christi, wie in der Präfation gesagt, wird: „damit wir, während wir sichtbarerweise Gott erkennen, durch Ihn zur Liebe des Unsichtbaren hingerissen werden.“ Die Betrachtung der Geheimnisse des Lebens und Leidens Christi also leiten am besten an zur Andacht; während das Wesen der Andacht sich vorzugsweise auf Göttliches richtet. III. Die Wissenschaft u. dgl. ist Ursache, daß der Mensch auf sich selber vertraut und deshalb sich nicht ganz Gott hingiebt. Dergleichen sind also die Gelegenheit für ein Hindernis der Andacht; wogegen in einfachen Leuten und zumal in Frauen die Andacht sich reichlich findet, weil sie solche Vermessenheit nicht haben. Unterwirft der Mensch aber all sein Wissen und all seine Vollendung Gott, so vermehrt dies Alles die Andacht.
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