Erster Artikel. Im Kulte des wahren Gottes kann sich etwas verderbliches finden.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. „Jeder, wer den Namen Gottes anruft, wird gerettet sein.“ (Joel 2., 32.) Wer auch immer aber Gott irgendwie verehrt, ruft Gottes Namen an. II. Der nämliche Gott wird von den Gerechten in jeglichem Zeitalter der Welt verehrt. Vor der Zeit des Gesetzes aber verehrten die Gerechten Gott, wie auch immer es ihnen gefiel, ohne schwere Sünde; wie Jakob sich durch ein eigenes Gelübde zu einem eigenen Kulte verpflichtete, nach Gen. 28. Also ist auch jetzt kein Kult Gottes verderblich. III. Zudem läßt die Kirche verschiedene Riten zu, was sie nicht thäte, wenn im Abweichen von einem bestimmten Ritus etwas Abergläubisches wäre. Deshalb schreibt Gregor an Augustin, den Bischof von Canterbury: Es scheint mir gut, daß Du, wenn Du in Rom oder in Gallien oder in irgend einer Kirche etwas gefunden hast, was dem allmächtigen Gotte mehr gefällt, dies für Dich auswählst.“ Auf der anderen Seite schreibt Augustin (ep. 82. ad Hier.): „Die Ceremonialvorschriften des (Alten) Gesetzes bringen den Tod, wenn man sie beobachtet, nachdem schon das Licht des Evangeliums verbreitet ist.“ Diese Vorschriften aber gehörten zum Kulte des wahren Gottes. Ich antworte, daß nach Augustin (de mendacio 18.) „eine im höchsten Grade verderbliche Lüge jene ist, welche zu dem auf die Religion bezüglichen gehört.“ Eine Lüge aber ist es, wenn ein äußeres Zeichen der inneren wirklichen Wahrheit widerspricht. Wie aber durch Worte, so bezeichnet man auch durch die That; und gerade in solcher Bezeichnung von etwas, was gethan wird, liegt die Grundlage für den äußeren Kult. Wird also durch den Kult etwas Falsches bezeichnet, so ist dies ein verderblicher Kult. Dies geschieht nun 1. von seiten der Sache, die bezeichnet werden soll, wenn von dieser sich das Zeichen des Kultus entfernt; und danach ist es jetzt, wo Christus bereits gekommen ist und gelitten hat, verderblich, einen Kult anzuwenden, wie den des Alten Bundes, der da bezeichnet, Christus werde erst kommen und leiden; — 2. von seiten des den Kult ausübenden; und das tritt ein zumal im öffentlichen Kult, den die Diener der Kirche vollziehen. Denn wie das ein Fälscher ist, der Aufträge von einem anderen ausrichtet, die ihm nicht anvertraut worden sind; so thut der Diener der Kirche etwas Falsches, der seitens der Kirche einen Kult Gott darbringt, welcher gegen den von der Kirchenautorität gebilligten Kult verstößt. Deshalb sagt Ambrosius zu 1. Kor. 11. (Quicumque edit panem): „Unwürdig ist jener, der das Mysterium anders feiert, wie Crhristus gelehrt hat und uns überliefert ist.“ Darum sagt die Glosse zu Koloss. 2.: „Aberglauben findet sich, wann menschlicher Erfindung der Name „Religion“ gegeben wird.“
c) I. Da Gott die Wahrheit ist, so rufen Gott jene an, welche im Geiste und in der Wahrheit Ihn verehren, nach Joh. 4. Ein Kult, der Falsches in sich enthält, gehört im eigentlichen Sinne nicht zur Anrufung Gottes, welche durch die Wahrheit rettet. II. Vor der Zeit des Gesetzes wurden durch inneren Antrieb die Gerechten über die Art und Weise Gott zu verehren belehrt; und diesen folgten dann andere. Nachher sind durch nach außen hervortretende Gebote die Menschen belehrt worden; und diese beiseite zu lassen, ist verderblich. III. Die verschiedenen Riten innerhalb der Kirche treten in nichts der Wahrheit entgegen; und deshalb sollen sie beobachtet werden. Sie beiseite zu lassen ist unerlaubt.
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