Erster Artikel. Die Rache ist bisweilen erlaubt.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. „Gottes ist die Rache.“ (Deut. 30.) Was aber Gottes ist, darf man sich nicht anmaßen. II. Kant. 2. heißt es: „Wie die Lilie unter den Dornen,“ d. h. nach Gregor (hom. 36. in Evgl.): „Nicht jener ist gut, der die Bösen nicht ertragen kann.“ Wer aber sich rächt, der zeigt, daß er die Bösen nicht ertragen kann. III. Die Rache vollzieht sich in Strafen und verursacht sonach sklavische Furcht; diese aber ist vom Neuen Bunde ausgeschlossen. (Aug. cont. Adam. 17.) IV. Wer sich rächt, will die an ihm begangenen Beleidigungen strafen. Aber auch dem Richter steht es nicht frei, diejenigen, welche an seiner Person sich verfehlen, zu strafen: „Lernen wir,“ sagt Chrysostomus (5 in Matth. op. imp.), „nach dem Beispiele Christi die gegen uns gerichteten Beleidigungen großmütig zu ertragen; die Beleidigungen Gottes aber dulden wir nicht einmal bis zu dem Punkte, daß wir sie anhören.“ V. Die Sünde einer großen Menge ist verderblicher wie die eines einzigen. Denn Ekkli. 26. heißt es: „Vor drei Dingen hat mein Furcht … vor der Ansammlung einer Menge und vor lügnerischer Verleumdung.“ Die Sünde einer Menge aber soll man nicht rächen, „daß nicht beim Ausreißen des Unkrautes man auch den guten Samen mit ausreiße“ (Matth. 13.), wozu die Glosse bemerkt: „Eine große Menge und den Fürsten soll man nicht exkommunizieren.“ Auf der anderen Seite ist es erlaubt, die Rache an den Feind von Gott zu erwarten. Denn Luk. 18. heißt es: „Und wird nicht etwa Gott es übernehmen, seine Auserwählten zu rächen, die zu Ihm schreien Tag und Nacht?“ Also ist die Rache nicht an sich schlecht und unerlaubt.
b) Ich antworte, die Rache vollziehe sich durch das Übel der Strafe, welches man dem Sünder auflegt. Maßgebend also dabei ist die Absicht dessen, der da Rache nimmt. Geht diese an erster Stelle auf das Übel im anderen und ruht sie da, so ist die Rache durchaus unerlaubt; denn sich ergötzen am Übel, was den Mitmenschen trifft, ist Haß, während wir alle Menschen lieben müssen. Dabei wird niemand dadurch entschuldigt, daß ihm ungerechterweise Übles zugefügt worden ist, wie ja auch niemand hassen darf den, der ihn haßt; das würde sein: „überwunden werden vom Schlechten“, während der Apostel ermahnt: „Im Guten überwindet das Böse.“ Geht jedoch die Absicht des rächenden an erster Stelle auf etwas Gutes, z. B. auf die Besserung des Sünders oder auf die Verhinderung weiteren Übels oder auf die Wahrung der Gerechtigkeit oder auf die Ehre Gottes, so ist die Rache erlaubt.
c) I. Wer gemäß seiner Stellung den Übelthäter straft, der maßt sich nicht an das, was Gottes ist, sondern gebraucht die ihm zustehende Gewalt: „Er ist Gottes Knecht, Rächer zur Bestrafung desjenigen, der Böses thut.“ (Röm. 13.) Wer aber sich rächt und absieht dabei von der göttlichen Rechtsordnung; der sündigt. II. Die Beleidigungen, welche die Bösen Gott und dem Nächsten gegenüber thun, darf man nicht ertragen; wohl aber die der eigenen Person angethaenen. III. Das Gesetz des Evangeliums ist das Gesetz der Liebe. Wer also aus Liebe Gutes thut — und derartige allein gehören zum Evangelium —, der ist nicht durch Strafen zum Guten anzuspornen, daß er es aus Furcht thue. So verhält es sich aber nicht mit jenen, die nicht von der Liebe aus zum Guten hinbewegt werden. Diese letzteren zählen wohl mit zu den Kindern der Kirche; sind es aber nicht dem Verdienste nach. IV. Wenn die persönliche Beleidigung Gott und die Kirche mit trifft, dann darf man sie rächen; wie Elias (4. Kön. 1.) Feuer vom Himmel regnen ließ auf jene, die ihn suchten; Elisäus den ihn verspottenden Knaben fluchte und wie Papst Silverius (23 Qq. 4. cap. Guilissarius) diejenigen exkommunizierte, die ihn verbannt hatten. Trifft aber die Beleidigung einzig die eigene Person, so muß man sie geduldig ertragen, wenn dies zuträglich ist; denn derartige Vorschriften gelten nur mit Rücksicht auf die Bereitwilligkeit des Geistes. V. Wenn das Volk sündigt, muß Rache genommen werden; wie die Israel verfolgenden Aegypter versunken sind im Roten Meere und wie die Sodomiten insgesamt zu Grunde gingen; — wenigstens muß dann ein großer Teil bestraft werden, wie Exod. 32. es geschah, als die Juden das goldene Kalb angebetet hatten; und mit diesem Teile ist zugleich die ganze Menge bestraft. Wird jedoch die Besserung vieler noch erhofft, so müssen die Haupturheber der Sünde bestraft werden, wie Num. 25. der Herr befahl, einige wenige Haupträdelsführer aufzuhängen, wodurch die anderen geschreckt würden. Hat aber nicht die ganze Menge gesündigt, so müssen die Sünder getrennt werden von den Guten und auf sie muß die Rache sich erstrecken. Kann jedoch dies nicht geschehen, ohne Ärgernis für die anderen, so muß man Schonung anstatt Strenge walten lassen. Dasselbe gilt vom Fürsten, dem die Menge folgt. Denn dessen Sünde muß man schonen, wenn, ohne der Menge Ärgernis zu geben, eine Bestrafung nicht statthaben kann; es müßte denn die Sünde eine solche sein, daß sie für die Menge verderblicher wäre (geistig oder zeitlich) wie das gefurchtste Ärgernis.
