Zweiter Artikel. Die Prahlerei ist nicht immer Todsünde.
a) Das ist sie wohl. Denn: I. Prov. 28. heißt es: „Wer prahlt und anmaßend ist, ruft Streit hervor.“ Gott aber verabscheut (Prov. 6 ) jene, die Streit hervorrufen. Also ist dies Todsünde und somit auch das Prahlen. II. Das Gesetz Gottes verbietet die Prahlerei. Denn zu Ekkli. 6: Du sollst dich nicht erheben in den Gedanken deiner Seele, sagt die Glosse: „Prahlen und Hochmut ist hiermit verboten.“ Das Gesetz Gottes aber verbietet nur die Todsünden. III. Die Prahlerei ist eine Lüge; jedoch keine Scherz- oder Notlüge, nach 4 Eethhic. 7.: „Der Prahler spricht von sich über das hinaus, was wirklich in ihm ist, bisweilen um die Gunst von niemandem willen, bisweilen aus Ehr- und bisweilen aus Geldsucht.“ Also ist die Prahlerei immer eine schädliche Lüge und somit Todsünde. Auf der anderen Seite entspringt nach Gregor (31. moral. 17.) die Prahlerei aus eitler Ruhmgier. Diese aber ist nicht immer Todsünde, wie Gregor sagt (8. moral. 30.): „Sache sehr vollkommener Seelen ist es, so mit dem äußeren Werke nach der Ehre des Schöpfers trachten, daß sie als die wirkenden Personen an dem gespendeten Lobe nicht für sich allein sich freuen.“ Also ist auch die Prahlerei nicht immer Todsünde, sondern läßliche.
b) Ich antworte, die schwere Sünde stehe der Liebe entgegen. Es kann die Prahlerei nun in doppelter Weise betrachtet werden: 1. An sich, als Lüge; und so ist sie bisweilen Todsünde, bisweilen nur läßliche. Sie ist Todsünde, wenn jemand prahlerisch von sich vorbringt, was sich direkt und unmittelbar gegen die Ehre Gottes richtet, wie Ezech. 28. es heißt: „Erhoben hat sich dein Herz, du hast gesagt: Ich bin Gott;“ oder auch gegen die Liebe des Nächsten, wenn man in prahlerischer Weise sich erhebt und infolgedessen den Nächsten schmäht, wie der Pharisäer (Luk. 18.) sprach: “Ich bin nicht wie die übrigen Menschen, wie die Räuber, Ehebrecher, die Ruchlosen oder wie dieser Zöllner hier.“ Ist die Prahlerei weder gegen Gott noch gegen den Nächsten gerichtet, so ist sie an sich eine läßliche Sünde. Die Prahlerei kann 2. in ihrer Ursache erwogen werden; insofern sie aus Geldgier, Hochmut etc. hervorgeht. Sind nun diese letzteren Zustände Todsünde, so ist es dann auch das Prahlen; sonst ist dieses läßliche Sünde. Über die Geldgier als Ursache bemerkt jedoch Aristoteles (l. c.): „Schimpflicher ist es, aus Geld- wie aus Ehrbegier zu prahlen.“ Denn weil, wo Geldgier die Ursache ist, da auch meist ein Schaden für den Nächsten erwächst; ist da auch viel leichter die Prahlerei Todsünde als wenn nur leere Eitelkeit sie hervorruft.
c) I. Wer prahlt in der Absicht, Streit zu verursachen, sündigt damit schwer. Bisweilen aber folgt Streit, ohne daß derselbe beabsichtigt worden; und dann ist Prahlen keine Todsünde. II. Die Glosse spricht von der Prahlerei, insoweit sie vom verbotenen Hochmut ausgeht. III. Nicht immer ist die Prahlerei verderblich d. h. gegen Gott und den Nächsten gerichtet; sondern der prahlende ergötzt sich eben manchmal an seinem Prahlen wie an etwas Eitlem, Leerem, ohne weiteren Grund, was dann auf die Scherzlüge sich zurückführen läßt. Wenn er freilich sein Prahlen der Liebe Gottes vorzieht oder deswegen die göttlichen Gebote verachtet, so wäre dies gegen die Liebe Gottes, in dem allein unser Geist ruhen soll als in seinem letzten Endzwecke. Zur Notlüge scheint es zu gehören, wenn jemand um Geldgewinnes halber prahlt; vorausgesetzt daß dadurch niemand Schaden leidet.
