Zweiter Artikel. Der Zank ist an sich eine schwerere Sünnde wie die Schmeichelei oder Gefälligkeit.
a) Dem widerspricht Folgendes: I. Eine Sünde ist desto größer, je mehr sie schadet. Die Schmeichelei aber schadet mehr wie der Zank, nach Isai. 3.: „Mein Volk; die dich glücklich preisen, sie täuschen dich und verkehren den Weg deiner Schritte.“ Also ist sie eine schwerere Sünde. II. Der Schmeichler täuscht mit List und Trug; denn Anderes hat er im Munde und Anderes im Herzen. Der zankende aber widerspricht offen. Mit List und Trug sündigen aber ist schimpflicher, nach Aristoteles 7 Ethic. 6. III. Die Scham hat das Schimpfliche zum Gegenstande. Mehr schämt sich aber der Mensch, Schmeichler zu sein wie zanksüchtig. Auf der anderen Seite scheint eine Sünde um so schwerer zu sein als sie dem Stande der geistigen Vollkommenheit widerstreitet. Vom Bischöfe aber sagt Paulus (1. Tim. 3.), „er solle nicht zanksüchtig sein;“ und (2. Tim. 2.): „Der Knecht des Herrn soll nicht zanken;“ während er der Schmeichelei nicht erwähnt. Also ist der Zank eine schwerere Sünde.
b) Ich antworte; sprechen wir von diesen beiden Sünden an sich, in ihrem Wesenscharakter betrachtet, so muß ihre Schwere bemessen werden nach dem Grade des Gegensatzes zur entgegengesetzten Tugend. Da nun die Tugend der Freundschaft oder Leutseligkeit in erster Linie sich darauf richtet, zu erfreuen oder angenehm zu sein, so ist danach der Zank in höherem Grade dieser Tugend entgegengesetzt und somit schwerere Sünde; denn er will vielmehr betrüben wie erfreuen, während der Schmeichler im Erfreuen das Maß überschreitet. Sprechen wir aber von diesen beiden Sünden mit Rücksicht auf die äußeren Beweggründe, so ist bisweilen die Schmeichelei eine schwerere Sünde; denn aus Geld- oder Ehrsucht schmeichelt man nicht selten um zu täuschen. Bisweilen aber ist der Zank schwerer; z. B. wenn der Mensch die Wahrheit bekämpfen oder den anderen verächtlich machen will.
c) I. Der Schmeichler und der zankende können schaden; jener im verborgenen, dieser offen. Schwerer aber ist da die Sünde des Zankes denn offen schaden heißt ebensoviel wie Gewalt gebrauchen, so daß der Raub z. B. eine schwerere Sünde ist wie der Diebstahl. II. Nicht immer ist beim Menschen etwas schwerere Sünde, weil es schimpflicher ist. Denn der Glanz und die Zierde des Menschen kommt von der Vernunft. Und deshalb sind die fleischlichen Sünden, welche der Vernunft schaden, schimpflicher; die geistigen Sünden aber sind schwerer, weil sie aus höherer Vernunft hervorgehen. Ähnlich sind die Sünden, die mit List und Trug vorgehen, schimpflicher; denn sie scheinen von einer gewissen Schwäche herzurühren und aus einer gewissen Falschheit der Vernunft, während die offenen Sünden, weil aus größerer Verachtung herfließend, schwerer sind. Und danach wäre die Schmeichelei schimpflicher, der Zank schwerer. III. Die Scham richtet sich auf das mehr Schimpfliche. Und danach schämt sich der Mensch mehr, als Schmeichler dazustehen wie als zanksüchtiger; obgleich der Zank eine schwerere Sünde ist.
