Erster Artikel. Die Furchtlosigkeit ist sündhaft.
a) Dagegen wird geltend gemacht: I. Die Schrift lobt den furchtlosen, nach Prov. 28.: „Der gerecht wie ein Löwe zuversichtlich, er wird ohne Furcht sein.“ II. „Das Schrecklichste ist der Tod.“ (3 Ethic. 6.) Den Tod des Leibes aber soll man nicht fürchten nach dem Worte des Herrn bei Matth. 10.; und nach Isai. 51.: „Wer bist du, daß du vor einem sterblichen Menschen Furcht hast?“ III. Die Furcht kommt von der Liebe. Nichts Weltliches aber soll man lieben, wenn man vollkommen sein will; „denn die Liebe Gottes macht den Bürger der himmlischen Stadt zu einem Verächter seiner selbst.“ Also darf man auch nichts Menschliches fürchten. Auf der anderen Seite heißt es Luk. 18. von einem gottlosen: „Weder Gott noch die Menschen fürchtete er.“
b) Ich antworte, dasselbe Urteil gelte hier von der Liebe und von der Furcht. Es handelt sich aber nun um die Furcht, welche aus der Liebe zu zeitlichen Gütern herkommt. Von Natur jedoch liebt jeder das eigene Leben und das dazu in gebührender Weise Erforderte als Mittel zum Zwecke, nicht als ob dieses Zeitliche der Zweck selber wäre. Daß also jemand vor der gebührenden, geregelten Liebe dieses Zeitlichen abweicht, ist gegen die natürliche Hinneigung und somit Sünde. Niemals aber verzichtet jemand ganz und gar auf diese Liebe; denn was der Natur entspricht, kann nicht gänzlich verloren werden: „Niemals hat je einer sein eigenes Fleisch gehaßt,“ sagt der Apostel. (Ephes. 5) Daher begehen auch die Selbstmörder ihre Sünde aus Liebe zu ihrem Körper, den sie von Beängstigungen und Bedrängnissen befreien wollen. Es kann also jemand minder als er müßte den Tod und die anderen Übel fürchten, weil er minder als er müßte die entgegengesetzten Güter liebt. Daß er aber nichts davon fürchtet, das kann nicht von einem gänzlicher Mangel an der betreffenden Liebe herrühren; sondern daher, daß er meint, die dem Guten was er in höherem Grade liebt entgegengesetzten Übel könnten ihn nicht treffen. Das nun geschieht zuweilen infolge von Hochmut und vermessentlichem Vertrauen auf sich selbst, nach Job 41.: „Er ist geworden damit er keinen fürchte; alles Hohe sieht sein Auge; er ist der König der Kinder des Stolzes.“ Bisweilen geschieht es infolge von etwas Stumpfsinnigkeit, von Mangel an Vernunft, wie Aristoteles sagt (3 Ethic. 7.): „Wegen ihrer Dummheit fürchten die Kelten nichts.“ Furchtlos also sein ist fehlerhaft; mag es aus Mangel an Liebe herrühren oder aus Selbstüberhebung oder aus Dummheit, welch' letztere von der Sünde freispricht, wenn sie unbesiegbar ist.
c) I. Der gerechte wird gelobt dafür, daß die Furcht ihn nicht vom Guten abzieht; nicht dafür, daß er überhaupt ohne Furcht sei; denn Ekkli. 1. es: „Wer ohne Furcht ist, kann nicht gerecht werden.“ II. Der Tod ist nicht zu fürchten, insoweit man durch die betreffende Furcht sich veranlassen läßt, von der Gerechtigkeit abzuweichen. Man darf aber fürchten, insoweit er hindert, des weiteren tugendhafte Werke zu thun entweder zur Vermehrung der eigenen Verdienste oder für den Fortschritt anderer: „Der Weise fürchtet und hütet sich vor dem Übel,“ heißt es Prov. 14. III. Die zeitlichen Güter muß man als Hindernisse der Liebe Gottes erachten und deren Gegenteil also im selben Maße nicht fürchten; weshalb Ekkli. 14. es heißt: „Wer den Herrn fürchtet, wird nicht zittern.“ Als Werkzeuge aber, die der Liebe und der Furcht Gottes beistehen, dürfen die zeitlichen Güter nicht verachtet werden.
