Zweiter Artikel Die Vermessenheit steht im Gegensatze zur Hochherzigkeit gemäß dem „zuviel“.
a) Dies wird bestritten. Denn: I. Die Vermessenheit wird zu den Sünden gegen den heiligen Geist gezählt; diese aber stehen im Gegensatze zur Liebe. II. Die Hochherzigkeit macht, daß jemand sich großer Dinge für würdig hält. Vermessen aber ist jener, der etwas versucht über die eigene Kraft hinaus, wenn dies auch gering ist und Geringes verdient. Also ist da kein Gegensatz. III. Der hochherzige erachtet die äußeren Güter als etwas Geringes. „Die vermessenen aber verachten und beleidigen andere wegen ihrer Glücksgüter und meinen, dieselben seien etwas Großes.“ Also steht die Vermessenheit im Gegensatze zur Hochherzigkeit; nicht auf Grund eines Übermaßes oder des „zuviel“, sondern vielmehr auf Grund eines Mangels oder eines „zuwenig“. Auf der anderen Seite sagt Aristoteles (2 Ethic. 7.): „Der Hochherzigkeit steht als Übermaß gegenüber die Vermessenheit oder Aufgeblasenheit.“
b) Ich antworte, die Hochherzigkeit halte die rechte Mitte ein gemäß dem eigenen Vermögen im Streben und den eigenen Verhältnissen; sie strebt nach dem Größten, aber angemessen den eigenen Kräften. Dagegen strebt der vermessene wohl auch nach dem Größten, jedoch unangemessen seinen Kräften und Verhältnissen; und darin ist das „zuviel“ bei ihm, denn der hochherzige überschreitet diese Grenzen nicht.
c) I. Nur jene Vermessenheit, mit der jemand die Gerechtigkeit Gottes verachtet und in ungeregelter, freventlicher Weise auf die Barmherzigkeit Gottes baut, ist Sünde gegen den heiligen Geist. Und diese Vermessenheit steht auf Grund ihres Gegenstandes, der etwas Göttliches ist, im Gegensatze zur heiligen Liebe oder besser zur Gabe der Furcht, der es zueignet, Gott zu ehren. Insoweit nun eine solche Vermessenheit die Verhältnisse der eigenen Kraft beiseite läßt, ist auch sie der Hochherzigkeit entgegengesetzt. II. Wie die Hochherzigkeit, so strebt auch die Vermessenheit nach etwas Großem; denn man nennt nicht jenen einen sehr vermessenen, der nur in geringen Dingen seine Kräfte überschätzt. Wird jedoch ein solcher wirklich als vermessen bezeichnet, so ist diese Vermessenheit im Gegensatze zur Ehrliebe, welche auf kleinere Ehren sich richtet. III. Jeder, welcher etwas über seine Kräfte thut, überschätzt letztere. Dieser Irrtum kann ein zweifacher sein: 1. einzig und allein rücksichtlich des Umfanges, wie jemand meinen kann, er habe mehr Wissen, Fähigkeit etc. als er thatsächlich besitzt; — und 2. rücksichtlich der „Art“ seiner Kräfte; wenn jemand sich großer Ehren für wert hält auf Grund von Vorzügen, die dies nicht verdienen, wie auf Grund des Reichtums oder sonstiger Glücksgüter. Denn „die solche Güter ohne die Tugend besitzen, meinen ungerechterweise, sie seien großer Ehren wert und werden mit Unrecht als hochherzige bezeichnet.“Auch ist ebenso bisweilen das, wonach jemand über seine Kräfte hinaus strebt, etwas in Wirklichkeit Großes; wie z. B. Petrus für Christo leiden wollte, was über seine Kräfte war. Bisweilen ist aber das so Erstrebte nicht der Wirklichkeit nach etwas Großes, sondern nur gemäß der Meinung der Thoren; wie z. B. jene, die kostbare Kleider haben, andere in Schatten stellen; was dann ein Übermaß ist gegenüber der Hochherzigkeit nicht zwar der Wirklichkeit, sondern nur der Meinung der Leute nach. Deshalb sagt Seneca (l. c.): „Wenn die Hochherzigkeit das Maß überschreitet, macht sie aus dem Menschen einen aufgeblasenen, einen Störenfried, unruhigen, der andere bedroht und in Alles, was gemäß den Worten oder Thaten einigermaßen hervorragend ist, unter Beiseitelassung der Ehrbarkeit und des Anstandes in vermessener Übereilung sich stürzt.“ So kann der vermessene bisweilen der Wirklichkeit nach unter der Hochherzigkeit zurückbleiben; aber der Meinung der Leute, also dem äußeren Scheine nach, besitzt er ein Übermaß an Hochherzigkeit.
