Zweiter Artikel. Die Vorschriften betreffs der Teile der Stärke.
a) Dieselben sind im göttlichen Gesetze nicht zulässigerweise gegeben. Denn: I. über die Geduld finden sich Vorschriften und über die Beharrlichkeit. Also mußten auch solche gegeben werden über die Hochherzigkeit und Prachtliebe. II. Die Geduld ist höchst notwendig, da sie „die Hüterin aller Tugenden“ genannt wird. Also mußten über sie nicht Vorschriften erlassen werden, welche bloß auf die innere Bereitwilligkeit sich beziehen (Aug. 1. de serm. Dom. 19 et 21.); es mußten dies Vorschriften schlechthin sein. III. Über die Stärke wurden nur negative Vorschriften gegeben; also durften über die Geduld und Beharrlichkeit als bloße Teile der Stärke keine affirmativen gegeben werden. Auf der anderen Seite steht die Lehre der heiligen Schrift.
b) Ich antworte, das Gesetz Gottes wolle den Menschen anleiten, recht zu leben. Der Mensch aber hat, um recht zu leben, nicht allein Vorschriften notwendig, die sich auf die Haupttugenden erstrecken; sondern auch auf die mit diesen verbundenen, ihnen untergeordneten Nebentugenden. Und deshalb stehen dergleichen Vorschriften im göttlichen Gesetze.
c) I. Die Hochherzigkeit und Prachtliebe gehören nur deshalb in das Bereich der Stärke, weil sie in ihren Gegenständen etwas Großes berücksichtigen. Solches fällt aber mehr unter die Räte der Vollkommenheit wie unter die Vorschriften der Notwendigkeit. Dagegen gehören die Schmerzen und Mühen des gegenwärtigen Lebens in den Bereich der Geduld und der Beharrlichkeit; und deshalb gelten Vorschriften für sie. II. Die affirmativen Vorschriften verpflichten wohl immer; aber nicht sind sie für jede Zeit anzuwenden, sondern gemäß den Umständen von Zeit und Ort. Wie also rücksichtlich der anderen Tugenden, so sind auch die Vorschriften für die Geduld gemäß der inneren Bereitwilligkeit zu verstehen, die immer da sein muß; die aber nur, wann es sich nach Zeit und Ort gebührt, zur thatsächlichen Anwendung kommt. III. Die Stärke als unterschieden von der Geduld und der Beharrlichkeit beschäftigt sich mit den größten Gefahren, in denen man vorsichtiger wirken muß; es darf da nichts im besonderen bestimmt werden mit Rücksicht darauf, was zu thun sei. Die Geduld und Beharrlichkeit aber beschäftigen sich mit den kleineren Schmerzen und Mühen; und da kann mehr ohne Gefahr bestimmt werden, was zu thun sei, zumal wenn dies in allgemeiner Form geschieht.
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