Erster Artikel. Die Gabe der Rede ist eine zum Besten anderer verliehene Gnade.
a) Das scheint nicht. Denn: Die Gnade dient dem, was die Natur und ihre Kräfte überschreitet. Die natürliche Vernunft aber hat die Redekunst erfunden, vermittelst derjemand so spricht, daß er lehrt, ergötzt, hinneigt, wie Augustin sagt. (4. de doctr. christ. c. 12.) Das ist aber die Gabe der Rede. Also ist da von einer Gnade nicht die Rede. II. Jede Gnade führt zum Reiche Gottes. „Das Reich Gottes aber ist nicht in der Rede.“ (1. Kor. 4.) III. Die Gnade wird nicht auf Grund von Verdiensten gegeben. (Rom. 11.) Die Gabe der Rede aber erhält einer wegen seiner Verdienste; denn Gregor bemerkt (11. moral. 9.) zu Ps. 118. (ne auferas de ore meo): „Das Wort der Wahrheit teilt Gott denen mit, die es thun; denen, die es nicht thun, nimmt er es.“ IV. Nicht nur von der Weisheit und der Wissenschaft, sondern auch vom Glauben muß der Mensch sprechen. Also darf nicht nur eine Rede der Weisheit und der Wissenschaft; sondern auch eine Rede des Glaubens muß erwähnt werden. Auf der anderen Seite heißt es Ekkli. 6.: „Die angenehme Rede wird in einem guten Menschen überfließen.“ Der Charakter des Guten in einem Menschen aber kommt von der Gnade, also auch die angenehme Rede.
b) Ich antworte, hier sei die Rede von solchen Gaben, die zum Besten der anderen verliehen werden. Die von Gott erhaltene Kenntnis aber kann dem Besten anderer nur dienen vermittelst der Sprache. Und weil der heilige Geist in Allem, was notwendig ist, für das Beste der Kirche sorgt; so fehlen nicht solche Glieder der Kirche, die in guter Rede sich auszeichnen, welche demnach nicht nur so sprechen, daß sie von den verschiedenen Personen verstanden werden können, was zur Sprachengabe gehört, sondern auch so, daß ihr Wort wirksam ist, was zur Redegabe gehört. Sie erleuchten 1. die Vernunft, indem sie lehren; 2. sie regen den Willen an, daß jemand gern das Wort Gottes hört; denn ihre Rede ist angenehm und verbreitet Ergötzen, was jemand nicht aus Eitelkeit suchen muß, sondern um die Leute anzuziehen zum Anhören des Wortes Gottes; sie beugen das Herz, daß man gern das thut, was die göttlichen Gebote vorschreiben. Die Zunge ist da ein Werkzeug in der Hand des heiligen Geistes, der innerlich im Herzen wirkt: „Wenn nicht der heilige Geist die Herzen der Hörer anfüllt, so tönt vergeblich in die Ohren des Körpers die Stimme der lehrenden.“ (Greg. 29. moral. 13.)
c) I. Der heilige Geist wirkt hier in vollkommener Weise, was die Kunst nur unvollkommen thut; wie auch Gott durch Wunder manchmal vollkommener thut, was die Natur unvollkommen thut. II. Paulus spricht da von der Rede, die sich nur auf menschlich erworbene Beredsamkeit stützen will; deshalb schickt er vorher: „Ich werde die Rede jener erkennen, die aufgeblasen sind;“ und cap. 2.: „Meine Rede und meine Predigt nicht in den Worten menschlicher Weisheit.“ III. Die Redegabe dient zum Nutzen anderer. Sie wird bisweilen entzogen wegen der Schuld des Hörers, bisweilen wegen der Schuld des sprechenden. Die guten Werke auf beiden Seiten verdienen aber nicht direkt diese Gnade, sondern halten nur ab die Hindernisse dieser Gnade: nämlich die Schuld. Auch die heiligmachende Gnade wird ja entzogen wegen der Schuld; trotzdem aber verdienen die guten Werke sie nicht, durch die das Hindernis der Gnade entfernt wird. IV. Den Glauben teilt jemand mit eben durch die Rede der Weisheitund der Wissenschaft. „Wissen, wie der Glaube den frommen hilft, gegen die gottlosen verteidigt wird, das scheint der Apostel Wissenschaft zu nennen,“ sagt Augustin. (14. de Trin. 1.)
