Erster Artikel. Eine solche Teilung ist zulässig.
a) Dem steht entgegen: I. Die Seele ist kraft ihres Wesens Princip des Lebens. Denn „Leben ist für die lebendigen Dinge Sein.“ (2. de anima) Princip aber des thätigen und beschaulichen Lebens ist die Seele vermittelst ihrer Vermögen. Also ist eine solche Einteilung unzulässig. II. „Thätig“ und „beschaulich“ sind Unterschiede, die in der Vernunft begründet sind. Die Vernunft ist aber der Auffassung nach später wie das Leben. Also kann von daher kein maßgebender Grund für die Einteilung in ein „thätiges“ und „beschauliches“ Leben genommen werden; ist doch das Leben zuerst da auf Grund der Nährseele. III. „Leben“ will sagen „Bewegung“. (4. de div. nom.) „Beschaulich“ aber deutet auf Ruhe hin, nach Sap. 8.: „Ich will in mein Haus treten und mit ihr, der Weisheit, ruhen.“ Auf der anderen Seite sagt Gregor (hom. 14. in Ezech.): „Durch zwei Leben erzieht uns Gott der Allmächtige vermittelst der heiligen Schrift: durch das thätige und durch das beschauliche.“
b) Ich antworte, diejenigen Wesen werden vorzugsweise lebende genannt, die von sich aus thätig sind oder sich bewegen. Jenes aber kommt jeglichem Wesen von diesem selbst aus zu, was ihm der inneren Wesenheit nach eigen ist und wozu es im höchsten Grade hinneigt. Und sonach wird jedes Wesen als lebend dargethan in erster Linie durch die ihm eigene Thätigkeit, wozu es am meisten hinneigt So werden die Pflanzen deshalb als lebend bezeichnet, weil sie nähren und fortpflanzen; die Tiere, weil sie empfinden und sich bewegen; die Menschen, weil sie vernünftig erkennen und demgemäß thätig sind. Und sonach scheint auch das Leben des Menschen in dem zu bestehen, worin er sich am meisten ergötzt, worauf er am meisten acht giebt und worin er am meisten mit Freunden zusammenleben will. (9 Ethic. 4.) Weil also die einen vorzugsweise sich richten auf die Betrachtung der Wahrheit, die anderen auf äußere Thätigkeiten; deshalb wird das menschliche Leben eingeteilt in ein thätiges und beschauliches.
c) I. Die eigens zugehörige Wesensform macht, daß etwas thatsächlich Sein habe und ist somit Princip der Thätigkeit. Und deshalb wird gesagt „leben“ sei für die lebenden Dinge „Sein“, weil sie dadurch daß sie Sein haben durch ihre Form, in solcher Weise thätig sind. II. Das Leben des Menschen nur, nicht im Allgemeinen das Leben, wird so eingeteilt. Des Menschen Wesensform aber ist die Vernunft; und somit ist es dasselbe: das menschliche Leben einteilen und die Vernunftthätigkeit einteilen. III. Die Betrachtung hat Ruhe mit Rücksicht auf die äußere Thätigkeit; sie selbst aber ist eine Thätigkeit oder Bewegung der Vernunft. (3. de anima; 4. de div. nom.)
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