Sechster Artikel. Nicht vermittelst der Gnade ist die menschliche Natur angenommen worden.
a) Dies scheint jedoch. Denn: I. Durch die Gnade werden wir eins mit Gott. Die menschliche Natur aber in Christo war im höchsten Grade eins mit Gott. II. Wie der Körper durch die Seele als durch seine betätigende und vollendende Form lebt, so die Seele durch die Gnade. Die menschliche Natur aber wird geeignet, um angenommen zu werden, durch die Seele. Also wird die Seele wieder geeignet dazu durch die Gnade. Also mittels der Gnade hat der Sohn Gottes die menschliche Natur angenommen. III. Nach Augustin (15. de Trin. 11.) ist das fleischgewordene Wort wie unser Wort in der Stimme. Das Wort aber wird mit der Stimme verbunden mittels des Geistes. Also wird das Wort Gottes mit dem Fleische verbunden durch den heiligen Geist und somit durch die Gnade, welche dem heiligen Geiste zugeeignet wird; nach 1. Kor. 12.: „Teilungen der Gnaden sind, aber es ist immer ein und derselbe Geist.“ Auf der anderen Seite ist die Gnade eine Zuthat zur bereits bestehenden Seele. Die Einigung des „Wortes“ aber mit der menschlichen Natur ist gemacht gemäß dem Fürsichbestehen der Person; und nicht gemäß einer Zuthat, per accidens. Also vermittelt da nicht die Gnade.
b) Ich antworte; sei es daß wir von der Gnade der Einigung in Christo sprechen sei es von der zuständlichen oder heiligmachenden Gnade, in keinem Falle ist die Gnade eine Vermittlung für das Annehmen der menschlichen Natur von seiten Gottes. Denn die erstere Gnade ist eben das persönliche Sein selber, was ohne äußeren Anlaß frei von Gott der menschlichen Natur verliehen wird und dieses Sein ist der Abschluß und nicht eine Vermittlung für das „Annehmen“. Die heiligmachende Gnade aber ist eine Wirkung, welche der Einigung folgt, nach Joh. 1.: „Wir haben gesehen seine Herrlichkeit wie des Eingeborenen vom Vater voll der Gnade und Wahrheit.“ Weil also jener Mensch der Eingeborene des Vaters ist, hat Er die Fülle der Gnade. Wird aber unter Gnade verstanden der Wille Gottes, so ist die Einigung gemacht durch die Gnade; aber nicht als ob dieselbe dann vermittle, sondern weil sie wirkt.
c) I. Unsere Einigung mit Gott vollzieht sich durch Thätigsein; nämlich dadurch daß wir Gott erkennen und lieben; und weil das vollendete Thätigsein von einem Zustande ausgehen muß, deshalb beruht eine solche Einigung auf dem Zustande der Gnade. Die Einigung des „Wortes“ aber mit der menschlichen Natur ist gemäß dem persönlichen Sein, was nicht von einem Zustande, sondern unmittelbar von der Natur selbst abhängt. II. Die Seele ist die substantiale Vollendung des Körpers, die Gnade nur eine vollendende Zulhat, ein accidens. Also kann die Gnade nicht hinordnen die Seele zur persönlichen Einigung (die nicht eine Zuthat ist) wie die Seele und der Leib. III. Der Geist als wirkend verbindet unser Wort mit der Stimme, nicht als innere Form. Denn aus dem im Innern erfaßten Worte geht der Geist aus und formt die Stimme. Und so ist der heilige Geist die wirkende Ursache, die den Leib Christi geformt hat. Das Beispiel paßt also nicht im gewollten Sinne.
