Vierter Artikel. Das Fleisch Christi ward nicht zuerst vom „Worte“ angenommen und dann erst mit der Seele vereint.
a) Das Gegenteil wird behauptet. Denn: I. Augustin sagt (de fide ad Petr. 18.): „Halte recht fest daran …, daß nicht das Fleisch Christi ohne die Gottheit im Busen der Jungfrau empfangen wurde, ehe es vom „Worte“ angenommen ward.“ Früher aber war das Fleisch Christi empfangen als mit der Seele verbunden, da doch der Stoff als das bestimmbare Element immer früher ist auf dem Wege des Erzeugens wie die bestimmende Form. Also früher war der Leib Christi mit dem „Worte“ vereinigt wie mit der Seele. II. Die Seele ist ebenso ein Teil der menschlichen Natur wie der Leib. Nicht aber ein anderes Princip ihres Seins hatte die menschliche Seele in Christo wie in uns. (Vgl. Leo d. Gr. oben). Also hatte auch der Körper kein anderes Princip seines Seins in Christo wie in den übrigen Menschen. In uns aber wird zuerst der Leib empfangen, ehe die vernünftige Seele hinzutritt. Also war dies auch so in Christo; und damit war das Fleisch zuerst mit dem „Worte“ verbunden und dann erst mit der Seele. III. „Die erste Ursache fließt tiefer ein in das Verursachte und ist früher mit selbem verbunden wie die zweite,“ heißt es im lib. de causis propr. 1. Die Seele Christi steht aber im Verhältnisse zum „Worte“ wie die zweite Ursache zur ersten. Also. Auf der anderen Seite sagt Damascenus (3. de orth. fide 2.): „Zugleich ist das Fleisch das Fleisch des Wortes Gottes und beseelt durch die vernünftige Seele.“
b) Ich antworte; das menschliche Fleisch ist geeignet, vom „Worte“ angenommen zu werden gemäß der Beziehung, die es zur vernünftigen Seele als zu der ihm eigenen Wesensform hat. Diese Beziehung aber hat es nicht, ehe die vernünftige Seele hinzutritt. Denn zugleich damit daß ein beliebiger Stoff der einer bestimmten Form wird und unter dieser thatsächlich erscheint, empfängt er eben diese Form, so daß im selben Augenblicke dasteht der Abschluß des Anderswerdens, in welchem die substantiale Wesensform eintritt. Deshalb also durfte das Fleisch nicht eher angenommen werden als bis es menschliches Fleisch war, d. h. bis die Seele hinzutrat. Wie also die Seele nicht früher angenommen worden als der Leib, weil es gegen die Natur der Seele ist, früher zu sein als mit dem Körper vereinigt zu werden; so durfte das Fleisch nicht früher angenommen werden wie die Seele, weil nicht früher das Fleisch ein menschliches ist als es eine vernünftige Seele hat.
c) I. Das menschliche Fleisch hat erst Sein vermittelst der Seele. Und deshalb ist es vor dem Hinzutreten der Seele nicht menschliches Fleisch, sondern höchstens in einer gewissen Verfassung, um menschliches Fleisch zu sein. In der Empfängnis Christi aber hat der heilige Geist, der unendliche Kraft ist, zugleich den Stoff in die bestimmte Verfassung gesetzt und zur Vollendung geführt. II. Die Wesensform giebt es, daß ein Ding thatsächlich dieses oder jenes Gattungswesen hat; der Stoff aber, an sich betrachtet, ist im Zustande des Vermögens zu solchem Gattungswesen. Und deshalb wäre es gegen den Wesenscharakter der Form, vorherzuexistieren vor der Natur ihrer betreffenden Wesensgattung, die da vollendet wird eben durch die Einigung der Form mit dem Stoffe. Nicht aber ist es gegen die Natur des Stoffes, daß er vorherbesteht, in seiner Natur als Vermögen, vor der Natur der Wesensgattung. Daher rührt eine Unähnlichkeit zwischen dem Ursprünge Christi und dem unseren, danach nämlich daß unser Fleisch früher empfangen als beseelt wird, nicht aber so das Fleisch Christi; dieses ist nicht gemäß einer Verfassung oder dispositio, die vorhergegangen ist, vollendet durch die Seele. So werden wir empfangen aus dem Samen des Mannes, nicht aber Christus. Wäre aber ein Unterschied in dem beiderseitigen Ursprünge der Seele, so würde dies eine Verschiedenheit in der Natur bedeuten. III. Man kann ganz wohl sagen, daß das Wort Gottes früher verbunden ist mit dem Fleische wie die Seele nach der Allem gemeinsamen Weise, wie Gott in den Kreaturen ist durch sein Wesen, seine Macht und seine Gegenwart. Aber auch hier gilt das „früher“ nicht mit Rücksicht auf die Zeit, sondern auf die Natur. Denn früher wird das Fleisch aufgefaßt als seiend, so daß es das Sein vom „Worte“ hat; wie als beseelt, was es von der Seele her hat. Was jedoch die persönliche Einigung betrifft, so ist nach der Auffassung der Vernunft früher die Verbindung des Fleisches mit der Seele wie mit dem „Worte“; denn nur auf Grund der Verbindung mit der Seele hat es das Fleisch an sich, geeignet zu sein für die persönliche Einigung mit dem „Worte“; zumal ja der Charakter der Person sich nur findet in der vernünftigen Natur.
