Dritter Artikel. Über den Fleischesstachel oder fomes in Maria.
a) Die seligste Jungfrau ward nicht gereinigt von der Ansteckung des Fleischesstachels. Denn: I. Dieser Fleischesstachel ist eine Strafe der Erbsünde und besteht in der Regellosigkeit der niederen Kräfte gegenüber der Vernunft. Den anderen Strafen der Erbsünde, wie dem Tode, war Maria aber unterworfen; also hatte sie auch den Fleischesstachel. II. Nach 2. Kor. 12. „wird die Tugend inmitten der Schwäche vollendet“ und ist da die Rede vom Fleischesstachel. Nichts aber fehlte zur Vollendung der Tugend in der seligsten Jungfrau. Also hatte sie diesen fomes. III. Nach Damascenus (3. de orth. fide 2.) „kam der heilige Geist über die seligste Jungfrau und reinigte sie vor der Empfängnis des Sohnes Gottes;“ dies kann aber nur vom fomes verstanden werden, da sie, nach Augustin, keine Sünde gethan (de natura et gratia 36.). Auf der anderen Seite heißt es Hohel. 4.: „Du bist ganz schön, meine Freundin, und ein Flecken ist nicht in Dir.“ Der Fleischesstachel oder fomes aber ist ein Flecken, wenigstens im Fleische. Also hatte sie denselben nicht.
b) Ich antworte: Einige sind der Ansicht, der Fleischesstachel sei bei der Heiligung vor der Geburt aus Maria ganz und gar entfernt worden. Andere aber meinen, dieser fomes sei geblieben mit Rücksicht auf die Schwierigkeit im Guten und entfernt worden mit Rücksicht auf die Hinneigung zum Bösen. Wieder andere möchten, der fomes sei unterdrückt worden, soweit das Verderbnis der Person in Betracht kommt, nämlich soweit er abhält vom Guten und antreibt zum Bösen; und er sei geblieben, soweit es das Verderbnis der Natur angeht, nämlich soweit er Ursache ist für die Verbreitung der Erbsünde auf die Nachkommen. Endlich ist noch eine Meinung, die da festhält, bei der ersten Heiligung vor der Geburt sei der fomes nicht entfernt, aber gebunden worden; entfernt und gänzlich unterdrückt sei er worden bei der Empfängnis des ewigen Wortes. Um diese Sache klarzustellen, muß man sich erinnern, daß der Fleischesstachel nichts Anderes ist wie die ungeordnete Begierlichkeit des sinnlichen Teiles; jedoch in der Weise eines Zustandes, weil die thatsächliche ungeordnete Begierlichkeit, also der Akt der Begierlichkeit persönliche Sünde ist. Ungeordnet wird solche Begierlichkeit genannt, weil sie der Vernunft widerstreitet, insoweit sie nämlich hinneigt zum Bösen oder schwer macht das gute Wirken. Also gehört es zum Wesenscharakter des fomes, zum Bösen hinzuneigen oder das Gute zu erschweren. Annehmen demnach, in Maria sei der Fleischesstachel gewesen, derselbe hätte aber nicht zum Bösen hingeneigt, heißt ebensoviel als einander Entgegengesetztes annehmen. Einen ähnlichen Widerspruch scheint in sich zu schließen die Annahme, der Fleischesstachel bleibe mit Rücksicht auf das Verderbnis der Natur und nicht mit Rücksicht auf das Verderbnis in der Person. Denn nach Augustin (1. de nupt. et conc. 24.) ist es die aktuelle, persönliche Begierde, welchedie Erbsünde fortpflanzt in die Nachkommen. Solche Begierde aber schließt Regellosigkeit in der Begierlichkeit ein, die da nicht der Vernunft durchaus unterworfen ist. Wenn also der Fleischesstachel ganz und gar entfernt würde, soweit die Verderbnis der Person erwogen wird, so müßte er auch wegfallen für die Fortpflanzung der Verderbnis der Natur. Es bleibt also nur übrig zu sagen, daß in Maria bei der Heiligung vor der Geburt der Fleischesstachel entweder ganz und gar entfernt worden ist oder daß er gebunden wurde, wenn er dem Wesen nach blieb. Daß der Fleischesstachel nun aus Maria entfernt wurde, könnte dahin verstanden werden, daß die niederen Kräfte in einer solchen Verfassung bei ihr gewesen seien, der gemäß sie niemals in Bewegung oder Thätigkeit waren ohne die vorhergehende maßgebende Richtung der Vernunft; wie dies in Christo war (Kap. 15, Art. 2.) und in Adam vor der Sünde. Damit hätte also die Gnade der Heiligung in Maria die Bedeutung gehabt der Urgerechtigkeit. Und obgleich diese Annahme zu entsprechen scheint der Würde der seligsten Jungfrau, so schädigt sie doch in etwa die Würde Christi, ohne dessen einwirkende Kraft niemand von der ersten Verdammnis befreit wird. Mögen nämlich auch bereits vor der Menschwerdung Christi manche von dieser Verdammnis befreit worden sein, so war dies doch nur mit Rücksicht auf den Geist der Fall. Daß jemand dem Fleische nach vor der Menschwerdung von dieser Verdammnis befreit werde, dies scheint, hätte erst statthaben müssen nach der Menschwerdung, in welcher zuerst die Befreiung von der Verdammnis erscheinen mußte. Wie also vor der Unsterblichkeit des Fleisches im auferstandenen Fleische niemand erlangt hat die Unsterblichkeit des Fleisches; so scheint es unzulässig zu sagen, daß vor dem Fleische Christi, in dem keine Sünde war, das Fleisch der Jungfrau-Mutter oder irgend jemandes gewesen sei ohne den fomes, der genannt wird Gesetz des Fleisches oder der Glieder (oder Fleischesstachel). Also scheint es, man müsse vorziehen zu sagen, durch die Heiligung vor der Geburt sei in Maria der Fleischesstachel dem Wesen nach geblieben, aber er sei gebunden worden; — nicht zwar kraft des Aktes der eigenen Vernunft wie in den heiligen, denn nicht hatte Maria sogleich den Gebrauch der Vernunft, noch vor der Geburt, da dies ein Vorrecht Christi ist; jedoch infolge des Überfließens der Gnade, die sie in der Heiligung empfing und noch vollkommener infolge der göttlichen Vorsehung, welche den sinnlichen Teil in Maria vor jeder ungeregelten Regung behütete. Nachher aber, in der Empfängnis des Fleisches Christi, worin zuerst erglänzen mußte die Freiheit von der Sünde, — so ist zu glauben — ist aus der Frucht übergeflossen in die Mutter der Glanz dieser Freiheit, nachdem der Fleischesstachel durchaus entfernt war. Und dies wird versinnbildet Ezech. 43., wo es heißt: „Siehe da die Herrlichkeit Israels, wie sie eintritt durch das Thor im Osten (nämlich durch Maria); und die Erde (d. h. ihr Fleisch) erglänzte von der Majestät (Christi).“
c) I. Der Tod und dergleichen Strafen neigen an und für sich nicht zur Sünde hin. Deshalb hat auch Christus solche Strafen angenommen; nicht aber den fomes. Darum wurde auch in Maria, damit sie dem Sohne gleiche, von dessen Fülle sie empfing, zuerst der Fleischesstachel gebunden und nachher entfernt; nicht aber ward sie vom Tode u. dgl. befreit. II. Die Schwäche des Fleisches, welche zum Fleischesstachel gehört, ist in den heiligen Seelen die Gelegenheit zu vollkommenen Tugendakten; nicht aber deren Ursache, ohne welche solche Vollkommenheit nicht besessenwerden könnte. In Maria war vollkommene Tugend infolge der Gnadenfülle; man braucht in ihr nicht anzunehmen jeden Anlaß zu einer Tugendübung. III. Der heilige Geist machte in Maria eine doppelte Reinigung: Die erste war vorbereitend für das Empfangen Christi. Dies war nicht die Reinigung von der Unreinheit einer Schuld oder des Fleischesstachels; sondern dies einigte vielmehr ihren Geist und erhob ihn über die Vielheit der Neigungen. Denn auch die Engel werden gereinigt, „in denen doch keinerlei Unreinheit gefunden wird“ (6. de eccl. hier.). Die andere Reinigung hat der heilige Geist gewirkt vermittelst der Empfängnis Christi, die das Werk des heiligen Geistes war. Und gemäß dieser kann man sagen, sie sei ganz und gar vom Fleischesstachel gereinigt worden.
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