Zweiter Artikel. Die Buße ist eine eigene besondere Tugend.
a) Das ist sie nicht. Denn: I. Die Freude an den vergangenen guten Handlungen ist keine eigene Tugend für sich; sondern fließt aus der Liebe (Aug. 14. de civ. Dei 7, 8, 9.), nach 1. Kor. 13.: „Die Liebe freut sich nicht an der Bosheit, sondern an der Wahrheit.“ Also ist auch die Reue über die vergangenen Sünden keine besondere Tugend, sondern fließt ebenso aus der Liebe. II. Die Tugend, um eine eigene für sich bestehende zu sein, muß einen eigenen besonderen Gegenstand haben. Das ist aber bei der Buße nicht der Fall. Ihr Gegenstand sind die Sünden aller Gattungen. III. Nur von dem entsprechend Entgegengesetzten wird etwas ausgetrieben. Die Buße aber vertreibt alle Sünden. Also steht sie zu allen Sünden im Gegensatze und ist somit keine eigene Tugend. Auf der anderen Seite wird bezüglich der Buße ein besonderes Gebot gegeben. Also ist sie eine besondere Tugend.
b) Ich antworte, die Gattungen der Zustände seien unterschieden gemäß den Gattungen der Thätigkeiten. Wo also eine speciell und eigens lobwerte Thätigkeit entgegentritt, da ist ein besonderer Tugendzustand anzusetzen. Thätigsein aber, um die vergangene Sünde zu zerstören, insoweit sie eine Beleidigung Gottes ist, das ist ein ganz eigenes besonderes Thätigsein und gehört nicht in den Wesensbereich einer anderen Tugend. Also findet sich da eine eigene Tugend.
c) I. Die eine Thätigkeit ist die der heiligen Liebe formell entsprechende, von ihr selbst ausgeübte, wie das Gute lieben, darüber sich freuen, trauern über das entgegengesetzte Böse; und zu einer solchen Thätigkeit bedarf die heilige Liebe keiner anderen Tugend; — die andere Thätigkeit ist von der Liebe befohlen. Und so befiehlt sie allen Tugenden, indem sie deren Thätigkeiten oder Akte regelt nach ihrem, der heiligen Liebe, Zweck; danach kann die von der Liebe ausgehende Thätigkeit auch einer anderen Tugend zugehören. In der Buße also gehört das allgemeine Mißfallen an der Sünde als einer vergangenen, also an etwas dem Gegenstände der Liebe Entgegengesetztes, unmittelbar der heiligen Liebe an, wie auch die Freude am gethaenen Guten. Die Absicht aber, hinzuwirken auf die Tilgung der Sünden erfordert eine besondere eigene Tugend, die untergeordnet ist der heiligen Liebe. II. Die Buße berücksichtigt zwar alle Sünden, aber unter dem speciellen Gesichtspunkte, dieselben zu tilgen; insoweit sie tilgbar sind durch die Thätigkeit des mit Gott zu seiner Rechtfertigung mitwirkenden Menschen. III. Jede besondere Tugend treibt aus als innewohnende Form den Zustand der entgegengesetzten Sünde, wie die weiße Farbe bedeutet die Entfernung der schwarzen im selben Subjekte. Aber die Buße treibt alle Sünden aus als wirkende Ursache, insoweit sie mitwirkt zur Tilgung der Sünde, die da nachlaßbar ist kraft der Gnade unter Mitwirkung des Menschen.
