Dritter Arttkel. Die Tugend der Buße gehört zur Tugend„art“ der Gerechtigkeit.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Die Gerechtigkeit ist eine moralische Tugend; die Buße aber, da sie Gott zum Gegenstande hat, Ihm nämlich Genugthuung leistet, eine theologische. II. Die Gerechtigkeit besteht als moralische Tugend in der Mitte. Die Buße aber schließt in sich ein gewisses Übermaß ein; nach Jerem. 6.: „Mache dir ein bitteres Wehklagen wie um den Eingeborenen.“ III. Die Gerechtigkeit zerfällt in zwei Gattungen: die Tausch- und die verteilende Gerechtigkeit, die commutativa et distributiva; unter deren keiner die Buße sich zu finden scheint. IV. Zu Luk. 6. (beati qui nunc fletis) sagt Beda: „Siehe da eine Klugheit, durch welche dargethan wird, wie elend diese irdischen Gütersind und wie selig die himmlischen.“ Also gehört, da Weinen eine Thätigkeit der Buße ist, die Buße als Tugend nicht zur „Art“ der Gerechtigkeit, sondern ist eine gewisse Klugheit. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de vera et falsa poenit. 8 et 19.): „Die Buße ist von seiten desjenigen, der Schmerz und Trauer hat, ein gewisses Vergelten, kraft dessen der büßende in sich selber stets straft, was er begangen.“ Vergelten aber gehört der Gerechtigkeit an und ist nach Cicero (2. de inv.) eine Gattung derselben. Also ist die Tugend der Buße zugehörig zur Gerechtigkeit und eine Gattung derselben.
b) Ich antworte, die Buße habe es nicht nur an sich, daß sie über das begangene Übel trauert, dazu würde ja die Liebe genügen; sondern sie hat Schmerz, insoweit die begangene Sünde eine Beleidigung Gottes ist, und verbindet damit den Vorsatz der Besserung. Die Genugthuung oder Besserung rücksichtlich einer Beleidigung gegen jemanden vollzieht sich aber nicht allein dadurch, daß die Beleidigung aufhört, sondern sie schließt einen gewissen Ersatz, ein Entgelten in sich ein. Also ist die Buße eine Gattung in der Tugend „art“: Gerechtigkeit. Dabei muß man berücksichtigen, daß nach 5 Ethic. 6. das schlechthin Gerechte unter gleichgestellten Personen statthat, wie z. B. das bürgerliche Gerechte zwischen den Bürgern ein und desselben Staates, die als solche sich alle einander gleich sind als unmittelbar unter dem Fürsten stehende, als freie Bürger und nicht Sklaven; — das beziehungsweise oder bedingte Gerechte aber hat statt zwischen solchen, von denen der eine unter der Gewalt des anderen ist; wie die Frau unter dem Manne, der Sklave unter dem Herrn. Ein solches Gerechte nun, wie dieses letztere, wird in der Buße erwogen. Der Büßer also nimmt zu Gott seine Zuflucht mit dem Vorsätze der Besserung, wie der Knecht flieht zu seinem Herrn, nach Ps. 122.: „Wie die Augen der Knechte auf die Hände ihrer Herren gerichtet sind, so schauen unsere Augen auf den Herrn unseren Gott, daß Er Sich unsrer erbarme;“ — und wie der Sohn zum Vater flieht, nach Luk. 15.: „Vater; ich habe gesündigt vor dem Himmel und vor Dir;“ — und wie die Frau zum Manne, nach Jerem. 4.: „Unzucht hast du getrieben mit vielen Männern, jedoch kehre zu mir zurück; sagt der Herr.“
c) I. Die Gerechtigkeit ist eine Tugend, welche die Beziehung zum anderen einschließt. Nicht aber ist dieser andere der Gegenstand oder die Materie der Gerechtigkeit, sondern vielmehr sind dies die Sachen, welche verteilt oder eingetauscht werden. Nicht also Gott ist der Gegenstand der Buße; sondern die menschlichen Thätigkeiten, durch welche Gott versöhnt oder Ihm genuggethan wird; Gott selber verhält sich wie jener, dem gegenüber man Gerechtigkeit übt. Die theologischen Tugenden aber haben Gott zur Materie oder zum Gegenstande. II. Die Mitte in der Tugend der Gerechtigkeit ist das Gleichmaß. In Manchem aber giebt es kein vollendetes Gleichmaß, wenn nämlich der eine zu hoch erhaben ist über den anderen; wie in Allem dem z. B., was das Verhältnis von Vater und Sohn betrifft. Und so kann in dem, was zwischen Gott und dem Menschen sich vollzieht, kein vollendetes Gleichmaß beobachtet werden; sondern der Mensch muß hier thun, so viel auch immer er kann. Und trotzdem wird da kein schlechthin Gerechtes gefunden, sondern nur gemäß dem, daß Gott als der höhere die Genugthuung annimmt. Und das wird ausgedrückt durch das Übermaß, welches man der Buße zuteilt. III. Wie ein Umtausch in den Wohlthaten stattfindet dadurch, daß der eine für die empfangenen Wohlthaten dankt; so giebt es einen Umtausch in den Beleidigungen dadurch, daß der eine für die Beleidigung, die er angethan gestraft wird, was zur Strafgerechtigkeit gehört, oder freiwillig die Beleidigung gleichsam ersetzt, was Buße ist. Die Strafgerechtigkeit also bezieht sich auf die Person des Richters, die Buße auf die Person des Büßers. Also gehört Beides zur Tauschgerechtigkeit. IV. Obgleich die Buße direkt auf Grund ihres wesentlichen Tugendcharakters eine Gattung in der Gerechtigkeit ist; so umfaßt sie doch in sich das, was zu allen anderen Tugenden gehört. Sie ist eine Gerechtigkeit gewissermaßen Gott gegenüber; und danach hat sie in etwa teil an den theologischen Tugenden, welche Gott zum Gegenstände haben. Deshaalb ist die Buße zugleich mit dem Glauben an das Leiden Christi, durch das wir gerechtfertigt werden, und mit der Hoffnung auf Nachlaß, und mit dem Hasse der Laster, was der Liebe angehört. Sodann nimmt sie als moralische Tugend in etwa teil an der Klugheit, welche die Leitung hat in allen moralischen Tugenden; und auf Grund dessen selber daß sie eine Gattung in der Gerechtigkeit ist, schließt sie in sich ein Stärke und Mäßigkeit, insoweit nämlich das, was Ergötzen verursacht und somit zur Mäßigkeit gehört, und das was Schrecken einjagt und somit von der Stärke gemäßigt wird, zur Gemeinschaft mit der Gerechtigkeit hinleitet. Und danach gehört es zur Gerechtigkeit, des Ergötzlichen sich zu enthalten und Hartes zu ertragen.
