Dritter Artikel. Nicht eine Todsünde ohne die andere kann durch die Reue nachgelassen werden.
a) Dies scheint aber. Denn: I. Amos 4. heißt es: „Ich habe regnen lassen über die eine Stadt und über die andere nicht; der eine Teil ist unter dem Regen fruchtbar geworden, der andere verdorrt.“ Dazu bemerkt Gregor (19. in Ezech.): „Wenn jener, der den Nächsten haßt, von anderen Sünden sich bessert, so fällt der Regen auf einen Teil in ihm und auf den anderen nicht; denn wenn sie die einen Sünden abschneiden, fallen sie tiefer in die anderen.“ II. Ambrosius erklärt zu Ps. 118. (Exitus aquarum): „Der erste Trost ist der, daß Gott nicht vergißt seines Erbarmens; der zweite, wenn Er straft. So thut da, wo der Glaube fehlt, genug die Strafe und richtet auf.“ Also kann die Sünde des Unglaubens bleiben und trotzdem eine andere nachgelassen werden. III. Wenn beim Zusammensein mehrerer Dinge, das eine nicht notwendig zugleich mit dem anderen ist, kann das eine entfernt werden ohne das andere. Die Sünden aber sind untereinander nicht verknüpft. Also kann die eine nachgelassen und so entfernt werden ohne die andere. IV. Die Sünden sind Schulden gemäß dem Gebete des Herrn: „Vergieb uns unsere Schulden.“ Es kann aber jemandem eine Schuld nachgelassen werden ohne die andere. V. Durch die Liebe Gottes werden die Sünden nachgelassen; nach Jerem. 31.: „In ewiger Liebe habe ich Dich geliebt: deshalb habe ich aus Erbarmen Dich an mich gezogen.“ Gott aber kann den Menschen mit Rücksicht auf das Eine lieben und nicht mit Rücksicht auf das Andere; wie Er im Sünder die Natur liebt und die Sünde haßt. Also. Auf der anderen Seite sagt Augustin (de vera et falsa poenit. 9.): „Es giebt deren, welche die einen Sünden bereuen und sich andere vorbehalten, um sich in ihnen zu ergötzen. Sie bemerken nicht, daß der Herr zu gleicher Zeit den tauben und stummen vom Teufel befreit hat. Er lehrte damit, daß wir von keiner oder von allen Sünden geheilt werden.“
b) Ich antworte; es könne nicht die eine Todsünde ohne die andere nachgelassen werden. Denn: 1. wird die Sünde nur insoweit nachgelassen als die Beleidigung Gottes durch die Gnade gehoben wird, so daß keine Sünde ohne Gnade nachgelassen wird (vgl. I., II. Kap. 109, Art. 7.;Kap. 113, Art. 2.). Da nun jede Todsünde entgegensteht der Gnade und dieselbe ausschließt, so kann gar nicht die eine Todsünde verziehen und die andere nachgelassen werden. Es kann 2. die Todsünde nicht ohne wahre Buße nachgelassen werden, der es zugehört, die Sünde zu verlassen, insoweit dieselbe gegen Gott ist. Also kann der Sünder nicht über die eine Sünde Mißfallen haben und an der anderen Gefallen; denn der Charakter der Sünde haftet der einen wie der anderen an. An einer bestimmten Sünde Gefallen haben heißt ebensoviel wie Gott nicht über Alles lieben, was zum Charakter der wahren Buße gehört, durch welche allein die Sünde getilgt wird. Dies wäre gegen die Barmherzigkeit Gottes, da Gottes Werke vollkommen sind; wessen also Er Sich erbarmt, dessen erbarmt Er Sich ganz und gar: „Es ist dies eine Art gottlosen Unglaubens, von dem, der gerecht und die Gerechtigkeit ist, halbe Verzeihung zu erwarten.“
c) I. Dies ist zu verstehen vom Aufhören der Thätigkeit, nicht vom Nachlassen der Schuld. Denn manchmal verläßt der gewohnt war, mehrere Sünden zu begehen, die Thätigkeit gemäß der einen und nicht gemäß der anderen. II. Da nimmt Ambrosius den „Glauben“, fides, als „Gewissen“; nicht im Sinne des Unglaubens; da ja Augustin zu Joh. 15.: „Wenn ich nicht gekommen wäre und zu ihnen gesprochen hätte, so würden sie nicht die Sünde haben,“ nämlich die des Unglaubens, erklärend bemerkt: „Das ist die Sünde, welche alle anderen Sünden in sich enthält.“ Manchmal nämlich erhält jemand durch die Strafen, die er geduldig leidet, den Nachlaß von Sünden, die er nicht weiß, daß er sie begangen; von denen er kein „Gewissen“ hat. III. Die Sünden sind nicht verknüpft mit Rücksicht auf die Zuwendung zum vergänglichen Gute; wohl aber sind sie es mit Beziehung auf die Abkehr vom unvergänglichen Gute. Darin kommen sie alle überein; und darin liegt ihr Charakter einer Beleidigung Gottes, der durch die Buße getilgt wird. IV. Die Schuld, welche äußerliche Dinge wie Geld betrifft, steht nicht entgegen der Freundschaft, welche die Schuld nachläßt; und so kann die eine nachgelassen werden ohne die andere. Aber die Schuld der Beleidigung steht entgegen direkt der Freundschaft; und da wäre es lächerlich, wenn jemand den beleidigten wegen der einen Beleidigung um Verzeihung bitten wollte und nicht wegen der anderen. V. Die Liebe, mit der Gott unsere Natur liebt, hat keine positive Beziehung in sich zur Herrlichkeit. Die Liebe der Gnade aber schließt in sich das Verdienst der Herrlichkeit; und so muß von ihr alle Todsünde aus geschlossen werden, da das ewige Leben mit einer Todsünde sich nicht verträgt.
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