Fünfter Artikel. Nicht alle Reste der Todsünde werden fortgenommen beim Nachlasse der Schuld.
a) Dies scheint aber. Denn: I. Augustin (de vera et falsa poenit. 9.) sagt: „Niemals hat der Herr jemanden geheilt, den Er nicht ganz und gar geheilt hätte; den ganzen Menschen hat Er geheilt am Sabbathe: den Leib von seiner Schwäche, die Seele von aller Ansteckung der Sünde.“ Also alle Schwäche, welche die Sünde im Gefolge hat, schwindet mit dem Nachlasse der Schuld. II. „Das Gute ist wirksamer wie das Schlechte; denn Letzteres wirkt nur kraft des Guten“ (Dion. 4. de div. nom.). Der Mensch hat aber durch die Sünde alle seine Kräfte zugleich angesteckt. Also befreit die Buße von aller Schwäche, welche der Sünde folgt. III. Das Werk Gottes hat mehr wirkende Kraft wie das Werk des Menschen. Menschliche Übungen aber im Guten nehmen fort die Reste der entgegenstehenden Sünde. Also um so mehr thut dies der Nachlaß der Schuld von seiten Gottes. Auf der anderen Seite wird Mark. 8. gelesen, wie jenem blinden zuerst unvollkommen vom Herrn das Gesicht wieder verliehen wurde; er sah „die Menschen wie Bäume herumwandeln“; und später wurde es ihm vollkommen wiedergegeben, so daß er „Alles klar sah“. Dies ist das Bild der Befreiung von der Sünde. Nach der ersten Nachlassung der Schuld bleiben im Menschen noch Reste der Sünde.
b) Ich antworte, von der Seite der ungeordneten Zuwendung zum Vergänglichen her verursache die Todsünde eine gewisse Verfassung oder auch einen Zustand im Menschen, wenn die Sündenakte häufig wiederholt werden. Nun wird durch den Nachlaß der Schuld die Abkehr von Gott gehoben kraft der Gnade. Es kann jedoch ganz gut noch zurückbleiben das, was von seiten der Zuwendung her besteht, da diese als bestimmbares ungeordnetes Element zurückbleibt ohne die Abkehr; wie die Steine eines Baues bleiben, nachdem der Bau selber zerstört worden. Also können jene Verfassungen nach der Verzeihung bleiben, welche durch die vorhergehenden Thätigkeiten der Sünde verursacht worden sind. Sie bleiben jedoch geschwächt und gemindert, so daß sie nicht herrschen im Menschen; und zwar bleiben sie mehr in der Weise von unbestimmten Verfassungen wie von vollständigen Zuständen; wie ja auch der Fleischesstachel bleibt nach der Taufe.
c) I. Gott heilt den Menschen ganz und gar; aber bisweilen aufeinmal, wie z. B. die Schwiegermutter des Petrus, die „sogleich beim Essen diente“; — manchmal nach und nach, wie jenen erwähnten blinden. Und so wird auch manchmal durch die Gnade das Herz so erschüttert, daß sogleich die volle geistige Gesundheit herrscht, wie bei Magdalena Luk. 7. Bisweilen geschieht dies in eben besagter Weise nach und nach. II. Auch die Sünde verursacht durch einen einzigen Akt eine schwächere entsprechende Verfassung; durch viele Akte eine stärkere. III. Ebenso bedarf es (nach Praedicam. cap. de oppos.) bei den menschlichen Übungen vieler wiederholter Thätigkeiten, bis eine etwaige Tugend hergestellt wird. Dies thut aber weit wirksamer die göttliche Gnade; sei es mit einem sei es mit mehreren Akten.
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