Vierter Artikel. Die Buße läßt nach die Schuld, aber nicht alle verschuldete Strafe.
a) Sie entfernt auch die verdienten Strafen. Denn: I. Die Schuld ist die Ursache der Strafe. Wo aber die Ursache nicht mehr besteht, da ist auch nicht mehr die Wirkung. II. Die Gabe Christi ist wirksamer, nach Röm. 5., wie die Sünde Adams. Durch die Sünde Adams aber ist der Mensch schuldig und strafbar geworden. Also löst die Gabe Christi Schuld und Strafe. III. Die Nachlassung der Sünden vollzieht sich in der Buße kraft des Leidens Christi, nach Röm. 3.: „Ihn hat Gott aufgestellt als Sühner durch den Glauben in seinem Blute, wegen des Nachlasses der vorhergehenden Sünden.“ Das Leiden Christi aber ist eine hinreichende Genugthuung für alle Sünden. Also bleibt nach dem Nachlasse der Schuld keine Strafe mehr. Auf der anderen Seite ward nach 2. Kön. 12, 13. dem David seine Sündenschuld nachgelassen; aber die verdiente Strafe blieb.
b) Ich antworte; infolge der Abkehr von Gott gebühre der Sünde die ewige Strafe; damit, wer gegen ein ewiges Gut gesündigt, auch in Ewigkeit gestraft werde; — infolge der Zuwendung zu einem vergänglichen Gute gebühre der Sünde eine gewisse Strafe; denn die Ordnungslosigkeit der Schuld wird nur durch die Strafe zur Ordnung der Gerechtigkeit zurückgeführt. Gerecht nämlich ist es, daß jener, der mehr als es sich geziemte, seinem Willen nachgab, nun gegen seinen Willen entsprechend leide; damit das Gleichmaß bestehe, nach Apok. 18.: „So viel er im Ergötzen war, so viel sei ihm Pein und Trauer beschieden.“ Weil jedoch die Zuwendung zum vergänglichen Gute begrenzt ist, so wohnt von da her nicht der Strafe es inne, daß sie ewig sei. Wenn also eine Unordnung besteht beim Zuwenden zum Vergänglichen ohne Abkehr vom letzten Endzwecke, von Gott; wie dies bei den läßlichen Sünden statthat; so gebührt da der Sünde nur eine zeitliche Strafe. Wenn deshalb durch die Gnade die Schuld nachgelassen ist und somit die Abkehr der Seele von Gott aufhört, so wird fortgenommen die ewige Strafe, jedoch kann bleiben eine zeitliche.
c) I. Die Todsünde hat Beides: die Abkehr vom unvergänglichen; und die Zukehr zum vergänglichen Gute. Jene aber ist wie das formal bestimmende Element; diese wie das bestimmbare, materiale. Wird nun von einem Dinge die Form entfernt, so hört der Wesenscharakter auf; wie z. B. wenn die vernünftige Seele vom Menschen entfernt worden, nicht mehr die menschliche Gattung dem Wesen nach in jenem betreffenden Einzelwesen existiert. Danach also wird die Schuld der Todsünde nachgelassen, daß durch die Gnade die Abkehr der Seele von Gott aufgehoben und diese letztere mit Gott verbunden wird; damit schwindet aber auch die ewige Strafe. Was jedoch das Bestimmbare, Materiale in der Sünde vorstellt, nämlich die thatsächlich ungeordnete Zukehr zum vergänglichen Gute, das bleibt; und somit bleibt da die Verschuldung zeitlicher Strafe. II. Der Gnade gehört es zu, daß sie wirke die Rechtfertigung des Menschen von Sünden und mitwirke mit dem Menschen, um das Gute zu thun. Der Nachlaß der Schuld und der ewigen Strafe also gehört zur wirkenden Gnade. Der Nachlaß der zeitlichen Strafe aber gehört zur mitwirkenden Gnade; insoweit der Mensch nämlich mit der Gnade im geduldigen Ertragen der Strafen mitwirkt, wird er losgelöst auch von der zeitlichen Strafe, die er verschuldet hat. Wie also die Wirkung der wirkenden Gnade früher ist wie die der mitwirkenden, so ist der Nachlaß der Schuld und der ewigen Strafe früher wie die volle Nachlassung der zeitlichen Strafen. Beides ist von der Gnade: Das Erste von der Gnade allein; daS Zweite von der Gnade und dem freien Willen. III. An sich ist die Kraft des Leidens Christi hinreichend für den Nachlaß aller Sünden und Strafen. Wieweit also der Mensch teilnimmt an dieser Kraft; soweit und in der Weise erlangt er die Lösung von der verschuldeten Strafe. In der Taufe nun nimmt er dem ganzen Umfangenach teil an der Kraft des Leidens Christi; kraft des Wassers und dem Geiste Christi stirbt er der Sünde und wird wiedergeboren zu neuem Leben. In der Taufe also erlangt der Mensch den Nachlaß aller verschuldeten Strafe. In der Buße aber nimmt er teil an der Kraft Christi gemäß der Art und Weise seiner eigenen Thätigkeiten, die als Materie der Buße dastehen, wie das Wasser für die Taufe. Also nicht gleich durch die erste Thätigkeit im Bußsakramente, durch welche die Schuld nachgelassen wird, ist auch bereits die Verschuldung der ganzen Strafe gelöst; sondern nachdem alle Akte der Buße vervollständigt sind.
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