Fünfter Artikel. Die durch die Sünde ertöteten Werke leben Kraft der Buße wieder auf.
a) Dies scheint nicht. Denn: I. Wie durch die Buße nachgelassen werden die vergangenen Sünden, so werden durch die Sünde ertötet die vorausgegangenen guten Werke. Die Sünden aber, welche die Buße getilgt hat, kehren nicht wieder (vgl. Kap. 88, Art. 1. und 2.). Also die guten Werke, welche die Sünde ertötet hat, leben nicht wieder auf. II. Nach der Ähnlichkeit mit den sinnbegabten Wesen spricht man von ertöteten guten Werken. Die lebenden sinnbegabten Wesen aber sterben wohl, leben jedoch nicht wieder auf. Also leben auch die guten Werke durch die Buße nicht wieder auf. III. Die vorausgegangenen guten Werke verdienen die ewige Herrlichkeit gemäß dem Umfange der Gnade und Liebe. Bisweilen aber steht der Mensch durch die Buße auf in minderer Gnade und Liebe. Also erreicht er nicht die Herrlichkeit gemäß dem Verdienste der früheren Werke; und so leben diese nicht wieder auf. Auf der anderen Seite sagt zu Joel 2. (Reddam vobis) die Glosse „Ich werde nicht dulden, daß ihr jene Frucht verliert, die ihr in der Verwirrung des Geistes preisgegeben habt.“ Jene Frucht aber ist das Verdienst der guten Werke, welches verloren worden ist durch die Sünde. Also durch die Buße leben wieder auf die guten Werke.
b) Ich antworte; manche meinten, die erwähnten Werke könnten durch die Buße nicht wieder aufleben, weil ja jene Werke eben verloren sind. Jedoch ist das kein angemessener Grund. Denn jene Werke haben nicht die Kraft zum ewigen Leben zu führen (was heißen will, es seien lebendige Werke), einzig insoweit sie thatsächliches Sein haben, sondern auch, nachdem sie ihr thatsächliches Sein verloren haben, vor Gott, insoweit Gott sie angenommen hat. Und so bleiben sie, an und für sich, auch nachdem die Sünde sie ertötet hat; weil Gott diese Werke so, wie sie geschehen sind, immer annehmen wird und weil die heiligen darüber sich freuen werden, nach Apok. 3.: „Halte fest, was du hast, damit nicht ein anderer deine Krone empfange.“ Daß diese Werke aber für jenen, der sie gemacht, nicht wirksam sind, um ihn in das ewige Leben zu führen, das kommt vom Hindemisse der hinzutretenden Sünde, wodurch er sich selber des ewigen Lebens unwürdig macht. Wird nun ein solches Hindernis durch die Buße entfernt, so folgt, daß diese Werke wieder aufleben d. h. jenen, der sie gethan, wieder zum ewigen Leben führen.
c) I. Die Werke der Sünde werden durch die Buße an und für sich, gemäß ihrem ganzen Wesen, getilgt; so zwar, daß mit der Gnade Gottes aus denselben weder ein Flecken noch eine Verschuldung sich ergiebt. Die Werke aber, die in der Liebe gethan sind, verschwinden nicht an und für sich; sie bleiben stehen vor Gott, der sie angenommen; — wohl aber stellt sich ihnen von seiten des Sünders ein Hindernis entgegen, welches ihrer Wirkung gegenübersteht. Ist dieses Hindernis entfernt, von seiten des Menschen durch die Buße, so haben die genannten Werke vor Gott wieder ihre Wirkung. II. Die genannten Werke sterben nicht an sich ab, sondern finden nur ein Hindernis für ihre Folgen. Die sinnbegabten Wesen aber sterben an und für sich; denn sie ermangeln des Lebensprincips. III. Wer mit einer geringeren Gnade aufsteht, erhält dem Umfange dieser letzteren Gnade gemäß den Lohn dessen Substanz nach, nämlich den wesentlichen Lohn. Er wird aber eine höhere Freude haben über die Werke, die er während der ersten Liebe gethan als über jene, welche er während der zweiten Liebe verübte; und das gehört zum hinzutretenden, dem accidentellen Lohn.
