Sechster Artikel. Das Beratschlagen kann nicht ins Endlose gehen.
a) Dagegen spricht: I. Das Beratschlagen ist ein Untersuchen über Einzelheiten, mit denen sich ja das menschliche Wirken befaßt. Solche Einzelheiten aber sind endlos. II. Das Untersuchen, was der Ratschlag erheischt, berücksichtigt auch, wie das zu Wirkende gehindert werden kann; dies aber kann bis ins Endlose gehen. III. Das Untersuchen des beweisenden Wissens geht deshalb nicht ins Endlose, weil man darin auf einige von sich allein aus bekannte Principien zurückgehen muß, die allseitige Gewißheit besitzen. Eine solche Gewißheit besteht aber nicht im Bereiche der einzelnen besonderen Zufälligkeiten, welche im Gegenteil ungewiß und wandelbar sind. Also geht das Untersuchen, wie es vom Beratschlagen vorausgesetzt wird, ins Endlose. Auf der anderen Seite bewegt sich niemand dahin, wohin er unmöglich gelangen kann. (I. de coelo.) Ein Endloses kann man aber unmöglich durchmessen; man kann nicht an dessen Ende gelangen. Wäre also das Untersuchen beim Ratschlage ins Endlose gerichtet, so würde niemand zu beratschlagen beginnen.
b) Ich antworte; das vom Ratschlagen bedingte Untersuchen sei geendet von zwei Seiten her: nämlich 1. von seiten des Princips, und 2. von seiten des Abschlusses. Von seiten des Princips her besteht eine doppelte Grenze. Das eine Princip ist aus dem Bereiche des zu Bethätigenden selber entnommen, nämlich der Zweck, um dessen Erreichung willen beratschlagt und der da also bei der Beratung vorausgesetzt wird; — das andere Princip ist einem anderen Bereiche des Seins entnommen, wie ja auch in den spekulativ beweisenden Wissenschaften die eine Wissenschaft Manches voraussetzt, was die andere beweist und wie sie deshalb darüber nicht untersucht. Dergleichen Principienaber, welche im Beratschlagen vorausgesetzt werden, bildet Alles, was der Sinn wahrnimmt; z. B. daß dies Brot sei oder Eisen; — und ebenso was auch immer an allgemeinen Grundsätzen eine spekulative oder praktische Wissenschaft als zuverlässig Gekanntes überliefert, z. B. daß Ehebrechen von Gott verboten sei, daß der Mensch ohne entsprechende Nahrungsmittel nicht leben kann. Darüber untersucht der Beratschlagende nicht. Der Abschluß der Beratung aber ist das, was allsobald zu thun in unserer Gewalt ist. Denn wie der Zweck den Charakter des Princips hat, so besitzt den Charakter des Zweckdienlichen das, was wir um des Zweckes willen thun. Was also in erster Reihe als zu thun entgegentritt, das hat den Charakter des Abschlusses im Ratschlagen; da beginnt das ausführende Wirken. Das hindert jedoch nicht, daß dem Vermögen nach die Beratschlagung ins Endlose gehen kann, insofern endlos Vieles entgegentreten kann, was der Untersuchung unterworfen werden kann.
c) I. Die Einzelheiten sind wohl dem Vermögen nach, nicht aber thatsächlich endlos. II. Die menschliche Wirksamkeit kann wohl gehindert werden, nicht aber immer ist das Hindernis thatsächlich bereit. Also nicht immer darf man Rats pflegen, wie das Hindernis zu entfernen sei. III. In zufälligen Einzelheiten kann etwas, allerdings nicht unter allen Umständen, aber doch, wie es da als zu Wirkendes gerade vorliegt, als zuverlässig gewiß angenommen werden. Denn daß Sokrates sitzt, ist keine Notwendigkeit unter allen Umständen. Aber daß er, während er sitzt, eben nicht steht, sondern sitzt; — das ist notwendig und sonach mit Gewißheit ausgestattet.
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