I.
S. 4 Zum geschichtlichen Verständnis der sieben Texte, die den Bestand an echten Martyriumsberichten des zweiten Jahrhunderts bilden, ist zunächst zu bemerken, daß uns diese in einer doppelten Form vorliegen. Einmal als Berichte in Briefform, die unmittelbar oder nur kurz nach den Ereignissen von Augenzeugen verfaßt und an die daran lebhaften Anteil nehmenden Brüder anderer christlicher Kirchen versandt wurden. Zu dieser Gattung gehören der Bericht über das Blutzeugnis des heiligen Polykarp und der große Brief, den die Christen von Lugdunum an ihre stammverwandten Mitbrüder in Kleinasien schickten. Die geschichtliche Glaubwürdigkeit dieser beiden Dokumente beruht auf der Unmittelbarkeit des Augenzeugenberichtes, der in seiner unnachahmlichen Lebendigkeit den Stempel vollkommener Zuverlässigkeit an sich trägt. Die zweite Gattung ist womöglich noch zuverlässiger: denn sie besteht aus den Gerichtsprotokollen, die anläßlich der zum blutigen Tod führenden Verhandlungen unmittelbar aufgenommen wurden, sei es von den staatlich angestellten Stenographen oder von zuhörenden Christen. Es gibt in der ganzen Literatur der christlichen Antike keine Dokumente — etwa abgesehen von den Stenogrammen der Konzilsverhandlungen —, die den geschichtlichen Vorgang so unmittelbar und so ohne jegliche Umdeutung durch Reflexion aufgefangen haben wie die Martyrerprotokolle aus dem zweiten S. 5 Jahrhundert. Darum sprechen diese Texte zu uns, heute noch, mit der ungebrochenen Gewalt christlichen Zeugnisgebens, von der hinreißenden Schönheit des jugendlichen Christentums.
Die hier vorgelegte, neu aus den von Knopf- Krüger (Ausgewählte Martyrerakten, Tübingen 1929) gesammelten Urtexten hergestellte Übersetzung will ganz dem geschichtlichen Verständnis der Martyrerakten dienen. Sie ist darum wortgetreu — im Gegensatz zu der leider durch peinliche Eigenwilligkeiten wertlos gewordenen Sammlung von Martyrerakten, die Eugen Lense (Graz 1938) herausgegeben hat; sie ist aber auch (immer unter lange durchdachter Wahrung des griechischen oder lateinischen Wortsinnes) eigenwillig deutsch und will so bewußt hinausgehen über die zwar meist wortgetreue, aber hölzerne Übertragung in der Köselschen Sammlung der Kirchenväter (Frühchristliche Apologeten II, Kempten-München 1913, S. 297 bis 328).
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