7.
Eine ähnliche Arglist beobachtete ich einmal bei einem schlauen Vogel1. Da nämlich seine Jungen wegen S. 313 ihres zarten Alters leicht gefangen werden konnten, bot er sich selbst als leichte Beute an und flatterte vor den Händen der Vogelfänger hin und her, ohne sich jedoch von den Jägern gleich fangen zu lassen, noch ihnen die Hoffnung zu nehmen, seiner habhaft zu werden. Während er aber die Jäger verschiedentlich durch Hoffnungen hinhielt und auf sich lenkte, gab er seinen Jungen Gelegenheit, zu entwischen, und flog dann endlich selbst davon. — Nimm dich in acht, daß es dir nicht ähnlich ergeht und du in der Hoffnung auf das Ungewisse das Gewisse fahren läßt. Hierher also — zu mir! Stelle dich ganz zum Herrn! Gib deinen Namen an! Laß dich in die Kirche einschreiben! Der Soldat wird in die Stammrolle eingetragen; der Kämpfer läßt sich vor dem Kampfe einschreiben; der Mann aus dem Volke wird erst, wenn er als Bürger eingeschrieben, den Zunftgenossen beigezählt. Zu all dem bist du verpflichtet als Soldat Christi, als geistlicher Kämpfer, als Bürger des Himmels. Laß dich in unser Buch eintragen, damit du auch übergeschrieben werdest in das himmlische! Lerne, laß dich lehren den Wandel nach dem Evangelium, die Bewachung der Augen, Beherrschung der Zunge, Dienstbarkeit des Leibes, Demut des Geistes, Reinheit des Herzens, Verbannung des Zornes! Nötigt man dich, so leiste noch mehr2! Beraubt man dich, so prozessiere nicht3! Wirst du gehaßt, so liebe4! Wirst du verfolgt, so dulde5! Wirst du geschmäht, so segne6! Stirb der Sünde ab7! Laß dich kreuzigen mit Christus! Setze deine ganze Liebe auf den Herrn!
Freilich ist das schwer. Aber wo gibt es ein Gut, das wohlfeil zu haben? Wo hat einer im Schlafe ein Siegesdenkmal errichtet? Wo ist einer unter Schwelgen und Flötenspiel mit den Kränzen der Tapferkeit geschmückt worden? Keiner, der nicht gelaufen, trug einen Kampfpreis davon. Mühen erzeugen Ruhm, Anstrengungen verschaffen Kronen. „Durch viele Trübsal S. 314 müssen wir in das Himmelreich eingehen8“, sage auch ich. Auf diese Trübsal aber folgt im Himmelreich die Seligkeit; auf die Mühen der Sünde aber wartet die Pein und Traurigkeit der Hölle. Wer nämlich genau beobachtet, sieht, daß auch die Werke des Teufels den Missetätern Anstrengung kosten. Wo sind die Schweißtropfen, die die Keuschheit kostet? Der Unzüchtige aber trieft vor Schweiß, da die Wollust ihn verzehrt. Entzieht etwa die Enthaltsamkeit dem Körper so viel, wie die schändliche, rasende Unzucht zerstört? Es gibt freilich schlaflose Nächte bei solchen, die im Gebete die Nacht durchwachen; doch weit schädlicher sind die Nächte derer, die sie in Sünden zubringen. Denn die Furcht, ertappt zu werden, und der Stachel der Wollust verscheuchen jegliche Ruhe. Meidest du den schmalen Pfad, der zum Heile führt, und folgst du dem breiten Weg der Sünde, so fürchte ich, daß du, der du die breite Straße bis ans Ende gehst, die dem Wege entsprechende Herberge findest.
Aber der Schatz ist so schwer zu bewahren. Aber wache nur, lieber Bruder! Du hast Helfer, wenn du willst, am Gebete, das Nächte durchwachen hilft, am Fasten, welches das Haus hütet, am Psalmengesang, der das Herz erquickt. Nimm sie alle mit dir! Sie sollen mit dir wachen, um die Schätze zu hüten! Was ist besser, sage es mir, reich sein und für die Bewachung der Schätze Sorge tragen, oder von vorneherein nichts haben, was wir bewachen könnten? Niemand stößt die Güter ab aus Furcht vor Beraubung. Denn so könnte überhaupt nichts Menschliches bestehen, wenn wir bei allem, was wir anstreben, an die Unfälle dächten. Der Landwirtschaft droht die Mißernte, dem Handel der Schiffbruch, der Ehe die Witwenschaft, der Kinderaufziehung der Verlust der Kinder. Dessenungeachtet legen wir Hand ans Werk, gestützt auf bessere Hoffnungen, und stellen den Ausgang unserer Hoffnungen Gott anheim, der unser Schicksal lenkt. — Du rühmst mit Worten die Heiligkeit, weilst aber in der Tat unter den Verworfenen. Sieh zu, daß dich nicht einmal deine bösen Anschläge S. 315 gereuen, wann die Reue dir nichts mehr nützt. Das Beispiel der Jungfrauen soll dich warnen9. Sie hatten kein Öl in den Lampen und merkten erst, als sie mit dem Bräutigam einziehen sollten, daß es ihnen am Nötigen fehlte. Daher nennt sie auch die Schrift töricht, weil sie die Zeit, da sie das Öl brauchten, mit Herumgehen und Einkaufen verloren und sich unvermerkt von der Freude des Brautgemaches ausschlossen. Möge nicht auch für dich, der du von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat, von Tag zu Tag zögerst, und dich nicht mit Öl zur Unterhaltung des Lichtes versiehst, plötzlich und unerwartet der Tag kommen, wo dich bereits die Lebenskräfte verlassen, überall Not und trostlose Trübsal herrscht, die Ärzte verzweifeln, die Verwandten verzweifeln, wo schnelles, trockenes Atmen dich quält, heftiges Fieber dein Inneres durchglüht und verbrennt, wo du stöhnen wirst aus tiefer Brust, ohne jemand zu finden, der mit dir Mitleid hegt. Du wirst wohl leise und schwach etwas reden, aber niemand wird dich hören. Und all dein Reden wird man als wirres Zeug unbeachtet lassen. Wer soll dir dann die Taufe spenden? Wer dich mahnen, wenn infolge der Krankheit dein Kopf ganz benommen ist? Die Angehörigen sind niedergeschlagen, die Unbeteiligten kümmern sich nicht darum, der Freund zögert mit der Mahnung, um dich nicht zu beunruhigen, oder vielleicht täuscht dich auch der Arzt, und du gibst dich selbst noch nicht auf aus angeborener Liebe zum Leben. Es ist Nacht, niemand da, der hilft, niemand, der dich tauft. Der Tod steht vor dir; die dich wegtragen wollen, kommen schon. Wer wird dich retten? Gott, den du verachtet hast? Ja, er wird dich dann hören; denn du hörst jetzt auf ihn.10. Er wird dir einen neuen Termin geben; denn du hast die gegebene Frist so gut benützt!
Vgl. zu dieser Erzählung Aristoteles, hist. anim. lib. IX, c. 8; Plinius, hist. nat. X, 33. ↩
Matth. 5, 41. ↩
Matth. 5, 40. ↩
Matth. 5, 44. ↩
1 Kor. 4, 12. 13. ↩
1 Kor. 4, 12. 13. ↩
Röm. 6, 2. ↩
Apg. 14, 21. ↩
Matth. 25, 1 ff. ↩
Ein Abschreiber hat durch die unangebrachte Einschaltung der Negation οὐ [ou] diesen Schlußsätzen den Ton der bittern Ironie genommen. ↩
