9.
Laß dich warnen mit dem Beispiele des Reichen1! Ihn hat sein Schwelgerleben dem Feuer überantwortet. Nicht der Ungerechtigkeit, sondern eines weichlichen Lebens beschuldigt, ward er in den Flammen des Feuers gebraten. Um dies Feuer zu löschen, ist uns Wasser nötig. Und nicht bloß für die Zukunft ist das Fasten nützlich, sondern auch diesem unserem Fleische ist es sehr zuträglich. Denn gerade das strotzende körperliche Wohlbefinden ist gern Rückschlägen und Veränderungen ausgesetzt; die Natur versagt und kann die Last der Wohlbeleibtheit nicht mehr tragen. Sieh zu, daß du, der du jetzt das Wasser verachtest2, nicht wie der Reiche später einmal nach einem Tropfen verlangst! Niemand hat sich vom Wasser einen Rausch geholt. Nie tat einem der Kopf weh, weil er etwa vom Wasser beschwert war. Kein Wassertrinker bedurfte je fremder Füße. Keinem sind die Füße lahm, die Hände unbrauchbar geworden, wenn sie mit Wasser getränkt wurden. Denn die mangelhafte Verdauung, eine unabweisbare Folge der Schlemmerei, verursacht im Körper schmerzliche Krankheiten. Des Fastenden Farbe ist ehrwürdig, leuchtet nicht in schamloser Röte, sondern hat den Schmuck bescheidener Blässe. Sein Auge ist sanft, der Gang gemessen, seine Gesichtszüge ernsthaft, nicht von zügellosem Lachen entstellt, seine Rede abgemessen, sein Herz rein.
Erinnere dich der Heiligen seit Anfang der Welt, „deren die Welt nicht wert war, die umhergingen in Schafspelzen, in Ziegenfellen, darbend, bedrängt, mißhandelt3“. Ihren Wandel ahme nach, wenn du ihr Los erlangen willst! Was hat Lazarus im Schoße Abrahams ausruhen lassen4? Nicht das Fasten? Das Leben des S. 176 Johannes war ein langes Fasten5. Er hatte kein Bett, keinen Tisch, keinen Acker, keinen Stier zum Ackern, kein Getreide, keinen Bäcker, überhaupt nichts, was zum Lebensunterhalt gehört. Deshalb „ist unter den von Weibern Geborenen kein Größerer aufgestanden als Johannes der Täufer6“. — Den Paulus hat nebst anderen Tugenden auch das Fasten, das er unter den gepriesenen Trübsalen aufzählte, in den dritten Himmel erhoben7.
Zum Gesagten kommt aber als Hauptsache, daß unser Herr das Fleisch, das er unsertwegen angenommen hatte, zuerst durch Fasten stärkte und so in ihm die Vorstöße des Teufels auffing8. Er wollte damit uns lehren, durch Fasten für die Kämpfe gegen die Versuchungen uns zu salben und zu üben, und anderseits durch Hunger dem Feinde gleichsam eine Blöße zu geben. Denn unnahbar war ihm der Herr wegen der Höhe seiner Gottheit, wenn er sich nicht durch Hunger zur menschlichen Schwäche herabließ. Bevor er aber in den Himmel zurückkehrte, nahm er Speise zu sich9, um die natürliche Beschaffenheit seines Auferstehungsleibes zu beglaubigen.
Du aber willst in einem fort dich mästen und mit Fleisch beladen? Du willst den Geist darben und hungern lassen und keine Notiz nehmen von den heilsamen und belebenden Lehren? Oder weißt du nicht, daß, wie an der Kampffront die Waffenhilfe für den einen den Gegner niederzwingt, so auch der, der es mit dem Fleische hält, den Geist niederkämpft, und wer sich auf die Seite des Geistes stellt, das Fleisch dienstbar macht? „Denn sie streiten widereinander10.“ Willst du also den Geist stark machen, dann bändige das Fleisch durch Fasten! Das ist’s, was der Apostel meint, wenn er sagt: „Soviel der äußere Mensch aufgerieben wird, soviel wird der innere erneuert11“ und „Wann ich schwach werde, dann bin ich stark12“. Willst du also S. 177 die vergänglichen Speisen nicht verachten? Wirst du nicht Verlangen tragen nach dem Tische im Himmelreiche, den das Fasten hienieden dir sicher bereiten wird? Weißt du nicht, daß du durch Übersättigung dir einen dicken, quälenden Wurm erziehst? Wer in Überfluß und Schwelgerei lebte, hat der je eine geistige Gnadengabe empfangen? Moses mußte, um eine zweite Gesetzgebung zu erlangen, zum zweiten Male fasten. Hätten mit den Niniviten zusammen nicht auch die unvernünftigen Tiere gefastet, so wären sie dem angedrohten Untergange nicht entronnen13. „Wer waren die, deren Leiber in der Wüste dahingestreckt wurden14?“ Nicht jene, die nach Fleisch verlangten15? Solange sie mit dem Manna sich begnügten und mit dem Wasser aus dem Felsen, überwanden sie die Ägypter, gingen durch das Rote Meer, „und kein Kranker war in ihren Stämmen16“. Wie sie aber der Fleischtöpfe gedachten17 und sich nach Ägypten zurücksehnten, da durften sie das verheißene Land nicht schauen. Fürchtest du das Beispiel nicht? Entsetzt du dich nicht vor der Völlerei aus Angst, sie möchte dich von den erhofften Gütern ausschließen? Auch der weise Daniel hätte die Gesichte nicht geschaut, hätte er nicht durch Fasten seine Seele erleuchtet. Von dem vielen Essen und Trinken steigen gleichsam rauchartige Dünste auf, die wie eine dichte Wolke die seelischen Erleuchtungen des Hl. Geistes aufhalten. Wenn aber auch die Engel eine Speise haben, so ist es Brot, wie der Prophet sagt: „Engelbrot aß der Mensch18“ — nicht Fleisch, nicht Wein, nichts von all dem, wornach die Bauchdiener gelüstet. Das Fasten ist eine Waffenrüstung zum Kampfe gegen die bösen Geister. Denn „dies Geschlecht wird nicht ausgetrieben als durch Gebet und Fasten19“.
Soviel Gutes zeitigt das Fasten; die Völlerei ist aber der Anfang der Zügellosigkeit. Denn mit der Schwelgerei, Trunkenheit und den vielen Leckerbissen geht S. 178 zusammen jede Art viehischer Lust. Wie brünstige Pferde werden die Menschen20 infolge der Geilheit, welche die Schlemmerei in der Seele erzeugt. Von den Betrunkenen ging die Verkehrung der Natur aus, indem sie im männlichen Geschlechte das weibliche und im weiblichen das männliche suchten. Fasten lehrt aber auch im ehelichen Verkehr Maß halten, verurteilt das Übermaß des im Gesetze gestatteten Genusses und veranlaßt so eine beiderseitige Enthaltsamkeit, um im Gebete zu verharren21.
Vgl. Luk. 16, 24. ↩
Zum Fasten gehörte damals auch die Enthaltung von Weingenuß. ↩
Hebr. 11, 38. 37. ↩
Luk. 16, 23. ↩
Matth. 3, 4. ↩
Matth. 11, 11. ↩
2 Kor. 11, 27; 12, 2. ↩
Matth. 4, 2. ↩
Luk. 24, 43. ↩
Gal. 5, 14. ↩
2 Kor. 4, 16. ↩
2 Kor. 12, 10. ↩
Vgl. Jon. 3, 4—10. ↩
Hebr. 3, 17. ↩
Num. 14, 37. ↩
Ps. 104, 37 [Hebr. Ps. 105, 37]. ↩
Exod. 16, 3. ↩
Ps. 77, 25 [Hebr. Ps. 78, 25]. ↩
Mark. 9, 28. ↩
Jer. 5, 8. ↩
1 Kor. 7, 5. ↩
