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Wer das Geld erhalten hat, zeigt sich zunächst splendid und voller Freude, tut sich etwas zugute auf fremden Schmuck und prunkt mit seinem veränderten Lebenshaushalt. Sein Tisch ist luxuriös, seine Kleidung vornehmer, seine Dienerschaft gibt sich nobler. Schmeichler, Zechgenossen und Hausdrohnen schwirren an ohne Zahl. Wie aber das Geld zerrinnt und die vorrückende Zeit von ihm die Zinsentrichtung erheischt, da lassen ihm die Nächte keine Ruhe mehr, der Tag wird nimmer froh, die Sonne nicht heiter; vielmehr ekelt ihn das Leben an, er haßt die Tage, die den nahen Termin bringen, er fürchtet die Monate als Väter der Zinsen. Schläft er, dann hat er einen schweren Traum, sieht im Schlafe zu seinen Häupten den Wucherer. Wacht er, dann ist das Zinsen sein Denken und Sorgen. „Wenn der Gläubiger“, heißt es, „und der Schuldner einander begegnen, erleuchtet beide der Herr1.“ Der eine stürzt sich wie ein Hund auf seine Beute, der andere erschrickt wie ein gemachter Fang vor der Begegnung; die Notlage nimmt ihm allen Mut zum Sprechen. Beide haben die S. 364 Rechnung an den Fingern: Der eine freut sich über den Zuwachs der Zinsen, der andere seufzt ob des zunehmenden Elendes.
„Trink Wasser aus deinen Gefäßen2!“ D. h. sieh auf dein Vermögen, geh nicht zu fremden Quellen, sondern aus den eigenen Quellen bereite dir des Lebens Trost! Hast du eherne Geschirre, Kleider, Vieh, allerhand Hausgerät, verkaufe das, gib gern all das hin, nur die Freiheit nicht! Aber ich schäme mich, das im öffentlichen Aufstreich zu verkaufen, sagt man. Wieso, wenn doch kurz hernach ein anderer dasselbe ausbietet, deine Habe versteigert und vor deinen Augen es um einen Schleuderpreis veräußert? Geh nicht zu fremden Türen! In der Tat, „ein enger Brunnen ist der fremde3.“ Besser, in längeren Sorgen die Not (allmählich) mildern, als sie mit fremden Mitteln auf einmal haben und hinterdrein all seiner Habe zugleich verlustig gehen. Hast du also Mittel, zu bezahlen, warum steuerst du damit nicht der augenblicklichen Not? Bist du aber außerstande, zu bezahlen, so heilst du ein Übel durch ein anderes. — Laß dich nicht ein mit einem dir dräuenden Wucherer! Laß dich nicht wie ein Wild aufspüren und aufsuchen! Geld borgen ist der Anfang zum Lügen, Anlaß zum Undank, zur Unverschämtheit und zum Meineid. Anders lauten die Worte des Entlehnenden, anders die des Angeforderten: „O daß ich doch dich damals nicht gesehen hätte! Ich hätte schon Mittel gefunden, der Not zu steuern. Hast du nicht wider meinen Willen mir das Geld in die Hand gegeben? Dein Geld war unten von Kupfer, die Münze gefälscht.“
Ist nun der Wucherer dein Freund, so hüte dich davor, seine Freundschaft zu verlieren! Ist er dein Feind, so werde dem Gegner nicht untertan! Nur kurz kannst du mit fremdem Gut dich brüsten; dann wirst du auch das väterliche Erbe einbüßen. Arm bist du jetzt, doch frei. Nimmst du aber Geld zu Lehen, dann wirst du nicht reich, wohl aber der Freiheit beraubt werden. Ein Sklave des Borgers wird der Borgende, ein Lohnsklave S. 365 in unablöslicher Knechtschaft. Die Hunde werden begütigt, wenn sie etwas bekommen; der Wucherer aber wird durch das Empfangene immer mehr gereizt. Er hört nicht auf zu bellen, sondern fordert immer mehr. Schwörst du, so glaubt er nicht; er forscht nach, was du im Hause hast, und erkundigt sich nach deinen Erwerbsverhältnissen. Verläßt du das Gemach, so zieht er dich an sich und schleppt dich mit sich fort. Verbirgst du dich darin, so steht er vor dem Hause und klopft an die Türe. Vor deiner Gattin beschämt er dich, vor deinen Freunden schmäht er dich, auf dem Markte setzt er dir zu. Schlimm eine Begegnung mit ihm an einem Festtage; unerträglich macht er dir das Leben.
Doch groß, sagt man, ist die Not, und kein ander Mittel verhilft zu Geld. — Was nützt es, das Heute hinauszuschieben? Die Armut wird ja doch wie ein „guter Läufer4“ wieder zu dir kommen, und es wird wieder dieselbe Not sein, nur größer. Die Anleihe bringt keine völlige Abhilfe, sondern nur einen kurzen Aufschub der Ratlosigkeit. Heute wollen wir die Härten der Not tragen und sie nicht auf morgen verschieben. Wenn du keine Anleihe aufnimmst, dann wirst du heute wie in der Folgezeit gleich arm sein; machst du aber eine Anleihe, so wirst du in noch mißlichere Lage kommen, weil der Zins deine Armut vergrößert. Zudem macht dir jetzt niemand die Armut zum Vorwurfe; das Unglück ist ja nicht verschuldet. Wirst du aber Zinsschuldner, dann wird dich alle Welt wegen deiner Torheit verurteilen.
