3.
Wir wollen also nicht zu den ungewollten Übeln schuld unserer Torheit noch ein gewolltes Übel fügen. Es ist kindisch dumm, nicht nach seinem Vermögen sich einzuschränken, sondern unsicheren Hoffnungen sich zu überlassen und augenscheinlichen, sicheren Schaden zu riskieren. Zeitig bedenke, womit du bezahlen willst! Etwa mit dem Geld, das du bekommst? Doch das reicht doch nicht zur Steuerung der Not und zur Heimzahlung. Denkst du vollends an die Zinsen, woher soll dir das Geld so anwachsen, daß es einerseits deiner Not S. 366 abhilft, anderseits die volle Kapitalsumme ausmacht und dazu noch die Zinsen abwirft? Mit dem, was du erhältst, wirst du das Darlehen nicht heimzahlen. Womit dann? Laßt uns also keine solche Hoffnungen abwarten und nicht wie Fische auf den Köder hereinfallen! Wie diese mit der Speise die Angel schlucken, so werden wir um des Geldes willen durch die Zinsen angespießt. Armsein ist keine Schande. Was sollen wir dann mit einem Schuldnerverhältnis uns Schande bereiten? Niemand heilt Wunde durch Wunde, niemand wehrt einem Übel mit einem andern, und niemand hebt die Armut durch Verzinsung. Du bist reich? Entlehne nicht! Du bist arm, entlehne nicht! Denn wenn du wohlhabend bist, brauchst du kein Darlehen; hast du aber nichts, so wirst du das Darlehen nicht heimgeben können. Überantworte nicht dein eigen Leben zu später Reue! Preise nie die Tage vor dem Zinstermin! Das eine haben wir Arme den Reichen voraus, die Sorglosigkeit. Wir lachen über sie, die nicht schlafen können, indes wir schlummern über sie, die immer in Spannung und Sorge sind, indes wir sorgenfrei und froh leben. Der Schuldner aber ist arm und voll Sorge dazu. Schlaflos bei Nacht, schlaflos am Tage, sinniert er die ganze Zeit. Bald schätzt er seine Habe, bald die kostspieligen Häuser und die Grundstücke der Reichen, die Kleider der Passanten, das Tischservice der Gastgeber. Wenn diese Dinge mein wären, sagt er sich, so würde ich sie um soviel und soviel verkaufen und damit den Zins bestreiten. Diese Gedanken beklemmen bei Nacht sein Herz, und beschäftigen seinen Kopf am Tage. Klopfst du an die Türe, so schlupft der Schuldner unter sein Bett. Läuft jemand rasch auf ihn zu, so pocht ihm das Herz. Bellt der Hund, dann kommt er in Schweiß, Todesangst befällt ihn, und er schaut sich nach einem Ausweg um. Naht der Termin, dann besinnt er sich auf eine Lüge, sucht nach einer Ausrede, mit der er den Gläubiger vertrösten will.
Denke also nicht bloß daran, daß du empfängst, sondern, daß du auch wieder angefordert wirst. Warum hältst du es mit dem fruchtbaren Wild? Die Hasen, sagt man ja, bringen Junge zur Welt, ziehen S. 367 gleichzeitig andere auf und werden schon wieder geschwängert. So wird auch von den Wucherern das Geld gleichzeitig auf Zinsen angelegt und wird fruchtbar und wächst nach. Denn du hast das Geld noch nicht in Händen, und doch wird dir der Zinsertrag für den laufenden Monat schon abgefordert. Und dies Geld, wieder verzinst, ernährt ein weiteres Übel, und dies wieder ein anderes und so ins Unendliche. Deshalb wird auch diese Art von Bereicherung mit dieser Bezeichnung (τόκος) [tokos] gebrandmarkt. Τόκος [Tokos] (= Geburt, Zins) wird sie meines Erachtens genannt wegen der besonderen Fruchtbarkeit des Übels. Weshalb denn sonst? Oder heißt sie τόκος [tokos] wegen der Wehen und Schmerzen, die sie den Herzen der Entlehnenden verursacht? Denn was die Geburtswehen für die Gebärende, das ist der Zinstermin für den Schuldner. Zinseszins ist eine böse Ausgeburt schlimmer Eltern. Diese Ausgeburten des Wuchers soll man füglich Natterngezücht nennen. Die Nattern sollen bei der Geburt den Mutterleib zernagen1. Auch die Zinsen werden geboren, indem sie die Häuser der Schuldner verzehren. Die Samen wachsen mit der Zeit, und die Tiere bringen nach einer gewissen Zeit ihre Jungen zur Welt; der Zins aber, heute geboren, fängt schon heute an zu gebären. Die Lebewesen, die bald gebären, hören auch bald wieder auf zu gebären; allein das Geld, das so bald anfängt sich zu mehren, erhält immer neuen, noch größeren Zuwachs. Jedes Gewächs, das seine natürliche Größe erreicht hat, hört auf zu wachsen; das Geld der Geizigen aber mehrt sich zu aller Zeit. Die Tiere, die ihrer Brut die Kraft, zu gebären, weitergegeben haben, tragen selber nicht mehr; beim Geld der Wucherer aber gebiert der Zuwachs und verjüngt sich das alte. Mögest wenigstens du mit diesem unnatürlichen Tier nicht deine Erfahrung machen!
Vgl. Herodot, hist. III, 109 und Plinius, hist. nat. X, 72. — Siehe übrigens Hexaemeron, hom. IX c. 5. ↩
