2.
Es heißt: „Hab’ acht auf dich selbst!“ Ein jedes Tier hat von Haus aus, von seiten Gottes, der alles erschaffen, die Fähigkeiten zum Schutze seines eigenen Daseins. Du kannst bei aufmerksamer Beobachtung finden, daß die meisten Tiere ohne Belehrung das Schädliche zu meiden wissen und anderseits durch einen natürlichen Trieb zum Genusse des ihnen Nützlichen angetrieben werden. Deshalb hat auch uns der erzieherische Gott dies große Gebot gegeben, damit uns mit Hilfe der Vernunft zuteil werde, was jenen von Natur, damit von uns mit Aufmerksamkeit und anhaltendem Nachdenken geschehe, was bei den Tieren unüberlegt richtig zuwege kommt, damit wir ferner gewissenhafte Verwalter der uns von Gott gegebenen Fähigkeiten seien, indem wir nämlich die Sünde fliehen wie die Tiere das giftige Futter, und nach Gerechtigkeit streben, wie jene nach genießbaren Kräutern suchen. „Hab’ also acht auf dich selbst!“ damit du imstande seiest, das Schädliche vom Heilsamen zu unterscheiden.
Es gibt nun ein doppeltes Achthaben: eines, wobei man mit leiblichen Augen auf die sichtbaren Dinge schaut, das andere, wobei sich mit der Erkenntniskraft der Seele auf die Betrachtung der unkörperlichen Dinge verlegt. Wollten wir nun sagen, das Gebot gelte der Tätigkeit der Augen, so werden wir uns sofort überzeugen, daß dies nicht sein kann. Wie kann denn jemand sich ganz mit den Augen erfassen? Das Auge kann ja nicht einmal sich selbst sehen; es reicht nicht bis an den Scheitel, sieht den Rücken nicht, nicht das Gesicht, nicht die Lage der Eingeweide im Innern. Nun wäre es gottlos, zu sagen, die Gebote des Geistes seien undurchführbar. So bleibt nur übrig, jenes Gebot für die geistige Betätigung gelten zu lassen. „Hab’ acht auf dich selbst!“ S. 185 heißt also: Sieh dich um nach allen Seiten! Halte wach das Auge deiner Seele zu deinem Schutze. „Du wandelst mitten unter Schlingen1.“ Überall hat der Feind verborgene Fallstricke gelegt. Sieh auf alles ringsum, „damit du wie das Reh den Schlingen entrinnst und wie der Vogel dem Netze2“! Denn das Reh kann mit Schlingen nicht eingefangen werden dank seiner Sehschärfe; eben von dieser seiner Sehschärfe hat es auch seinen Namen3. Der Vogel aber, der „achtgibt“, schwingt sich auf leichtem Fittich hoch über die Schlingen der Vogelsteller hinweg. Sieh zu, daß du nicht weniger auf der Hut zu sein scheinst als die unvernünftigen Geschöpfe, und du nie, in den Schlingen gefangen, eine Beute des Teufels werdest, „von ihm gefangen gehalten nach seinem Wollen4.“
