4.
Eben dies Gebot ist für die Kranken sehr nützlich und auch für die Gesunden sehr angezeigt. In den Krankheiten legen ja die Ärzte den Patienten nahe, auf sich recht achtzugeben und nichts zu versäumen, was zur Heilung dient. Auf gleiche Weise heilt auch unser Seelenarzt, das Schriftwort1 die von der Sünde S. 187 geschädigte Seele mit diesem kleinen Heilmittel. „Hab’ also acht auf dich selbst“, daß du auch das dem Vergehen entsprechende Heilmittel anwendest! Ist groß und schwer die Sünde, dann bedarf es strenger Buße, bitterer Tränen, anhaltenden Wachens und ununterbrochenen Fastens. Ist der Fall leicht und erträglich, so soll dem auch die Buße entsprechen. Nur hab’ auf dich acht, damit du den Gesundheits- und Krankheitszustand der Seele erkennest. Denn viele leiden an schweren und unheilbaren Krankheiten und wissen aus zu großer Unachtsamkeit nicht einmal, daß sie krank sind. Doch aus dem Gebote erwächst auch für die ein großer Gewinn, die ihrem Berufe rüstig nachkommen. So macht eben das, was die Kranken heilt, die Gesunden vollkommen.
Ein jeder von uns Jüngern des Wortes dient doch irgendeinem von den Berufen, die im Evangelium für uns vorgesehen sind. In diesem großen Hause der Kirche gibt es nicht nur allerlei Gefäße, goldene und silberne, hölzerne und irdene2, sondern auch allerlei Künste und Gewerbe. Es hat nämlich das Haus Gottes, das da ist die Kirche des lebendigen Gottes3, Jäger, Wanderer, Baumeister, Bauleute, Bauern, Hirten, Fechter und Soldaten. Für sie alle paßt jener kurze Spruch, indem er einen jeden zur Gewissenhaftigkeit in seiner Arbeit und zum Eifer in seinem Berufe anspornt. Ein Jäger bist du, gesandt vom Herrn, der da spricht: „Siehe, ich sende viele Jäger, und sie sollen auf sie Jagd machen auf allen Bergen4.“ Gib also fleißig acht, daß dir die Beute nicht entwischt, d. h. daß du diejenigen, die in Lastern verwildert sind, durch das Wort der Wahrheit einfangest und dem Erlöser zuführest. — Ein Wanderer bist du gleich jenem, der da betete: „Leite meine Schritte5!“ „Hab’ acht auf dich selbst“, daß du nicht vom Wege abirrst, nicht abweichst zur Rechten oder zur Linken. Wandle auf königlichem Pfade! Der Baumeister lege sicher den Grund des Glaubens, der da ist Jesus Christus6. Die Bauleute sehen zu, wie sie bauen — S. 188 nicht mit Holz, Heu und Stoppeln, sondern mit Gold, Silber und Edelsteinen7. Bist du Hirte, so gib acht, daß du nichts von dem vernachlässigst, was zu deinem Hirtenamte gehört. Was heißt aber das? Das Verirrte führ’ zurück, verbinde das Verwundete, heile das Kranke! Bist du Bauer, so umgrab’ den unfruchtbaren Feigenbaum und wirf hinein, was die Fruchtbarkeit fördert8! Bist du Soldat9, so „dulde mit mir für das Evangelium10“, kämpfe den guten Kampf11 gegen die Geister der Bosheit12, gegen die Lüste des Fleisches, ziehe an die volle Waffenrüstung Gottes13, verwickle dich nicht in weltliche Geschäfte, damit du dem gefallest, der dich zum Kriegsdienst erwählt hat14. Bist du Fechter, so gib acht auf dich, daß du nicht etwa eine der Kampfregeln übertrittst. „Denn niemand wird gekrönt, der nicht regelrecht gekämpft hat15.“ Ahme Paulus nach, der da läuft und ringt und kämpft16. Und wie ein guter Kämpfer habe einen festen Blick der Seele! Die lebenswichtigen Körperteile schütz’ durch Vorhaltung der Hände; unverwandt sei dein Auge auf den Gegner gerichtet. Im Laufe streck’ dich nach dem aus, was vor dir liegt17. Lauf so, daß du es erlangst18! Im Ringen stell’ dich gegen die unsichtbaren Feinde! Der Ausspruch will dich für das ganze Leben als einen Mann wissen, der nicht wankt noch schläft, sondern nüchtern und wachsam sich selbst beherrscht.
Die „Rede — ein Arzt“, eine schon den Griechen geläufige Vorstellung und Ausdrucksweise; vgl. Aeschylus, Prometheus v. 386: Ὀϱγῆς νοσούσης εἰσὶν ἰατϱοὶ λόγοι [Orgēs nosousēs eisin iatroi logoi].“ ↩
2 Tim. 2, 20. ↩
1 Tim. 3, 15. ↩
Jer. 16, 16. ↩
Ps. 118, 133 [Hebr. Ps. 119, 133]. ↩
Vgl. 1 Kor. 3, 10—11. ↩
1 Kor. 3, 12. ↩
Luk. 13, 8. ↩
2 Tim. 2, 3. ↩
2 Tim. 1, 8. ↩
1 Tim. 1, 18. ↩
Eph. 6, 12. ↩
Eph. 6, 13. ↩
1 Tim. 2, 4. ↩
2 Tim. 2, 5. ↩
1 Kor. 9, 26. ↩
Phil. 3, 13. ↩
1 Kor. 9, 24. ↩
