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Ihr habt die Worte des Apostels gehört, mit denen er zu den Thessalonichern spricht und für das ganze Leben ein Gebot gibt. Wohl galt ja die Unterweisung zunächst für die, die von überallher bei ihm sich einfanden, aber der Nutzen daraus geht auf das ganze Menschengeschlecht über. „Freuet euch allezeit,“ sagt er, „betet ohne Unterlaß; bei allem sagt Dank1!“ Was es S. 197 nun ist um dieses Sichfreuen, welcher Gewinn daraus zu erhoffen, wie man dem anhaltenden Gebete obliegen und bei allem Gott Dank sagen kann, das wollen wir, so gut wie möglich, etwas später auseinandersetzen. Zunächst müssen wir nun mit den Einwänden unserer Gegner, die dies Gebot als eine Unmöglichkeit verlästern, beschäftigen.
Was ist denn das für eine Tugend, fragen sie, Tag und Nacht in Ausgegossenheit der Seele heiter und fröhlich zuzubringen? Wie wäre das auch möglich, wo tausendfaches, unvorhergesehenes Unheil uns umlagert, das die Seele notwendig in Trauer versetzt? Dabei sich noch freuen und fröhlich sein, ist unmöglicher, als auf einem Roste gebraten keinen Schmerz empfinden oder durchbohrt keine Qual erleiden. Vielleicht leidet auch der eine oder andere von den hier Herumstehenden an dieser Geisteskrankheit, schützt für seine Sünden Entschuldigungen vor2 und wagt sogar, bei seiner Lässigkeit in Beobachtung der Gebote dem Gesetzgeber Vorwürfe zu machen, als schreibe dieser Unmögliches vor. — Wie ist es mir denn möglich, mich allezeit zu freuen, sagt man, wo doch die Ursachen der Freude nicht bei mir liegen? Von außen kommt ja, was Freude schafft; es liegt nicht an uns: so die Ankunft eines Freundes, langes Zusammensein mit den Eltern, gefundene Schätze, Ehren bei den Menschen, Wiedergesundung von schwerer Krankheit und was sonst noch das Leben glücklich macht: ein Haus ohne jeden Mangel, ein reichgedeckter Tisch, willkommene Genossen der Freude, Ohrenschmaus und Schauspiele zum Ergötzen, Gesundheit der nächsten Angehörigen und sonst ein glücklicher Verlauf ihres Lebens. Denn schmerzlich berühren nicht bloß eigene Leiden, sondern auch die, welche Freunde und Verwandte treffen. Aus all dem zusammen muß die Freude und Fröhlichkeit der Seele sich ergeben. Darf man dazu noch den Sturz der Feinde erleben, Niederlagen von Verfolgern, Vergeltung von Wohltaten, kurz, wenn überhaupt nichts in der Gegenwart noch für die Zukunft Mißvergnügen erregt oder unser Leben beunruhigt, dann kann S. 198 in der Seele die Freude erstehen. Warum ist uns also ein Gebot gegeben, dessen Beachtung nicht vom freien Willen abhängt, sondern die Begleiterscheinung vorhin genannter Umstände ist? — Wie soll ich sodann ohne Unterlaß beten, da des Leibes Bedürfnisse die Aufmerksamkeit der Seele notwendig für sich in Anspruch nehmen und das geistige Vermögen doch unmöglich auf zwei Sorgenkreise sich verteilen kann?
