2.
Ja, auch bei allem Dank zu sagen, ist mir geboten. Danken soll ich, wenn man mich martert, geißelt, aufs Rad spannt, mir die Augen aussticht? Soll ich danken, wenn ich mißhandelt werde mit einem entehrenden Schlage von der Hand des Hassers, wenn ich vor Kälte starr, vor Hunger ausgemergelt bin, auf die Folterbank gebunden, mit einem Schlage aller Kinder und sogar der Gattin beraubt werde? Danken, wenn ein Schiffbruch mir plötzlich meinen Wohlstand raubt, wenn ich auf dem Meere unter Seeräuber oder auf dem Lande unter Straßenräuber gerate? Danken, wenn ich verwundet werde, verleumdet, wenn ich im Elende umherirre, im Kerker schmachten muß? — Dies und noch weit mehr als das tragen die Ankläger des Gesetzgebers zusammen und wähnen ihre Sünden rechtfertigen zu können, wenn sie das uns auferlegte Gebot als etwas Unerträgliches verlästern. Was wollen wir nun antworten?
Der Apostel hat etwas anderes im Auge; er sucht unsere Seelen von der Erde zur Höhe emporzuführen und zu einem himmlischen Wandel umzustimmen. Die also den hohen Sinn des Gesetzgebers nicht erreichen, die auf der Erde und im Fleische, wie Würmer im Kote, in ihren sinnlichen Lüsten sich winden, diese verbitten sich die apostolischen Gebote als unerträglich. Der Apostel lädt darum auch nicht den nächsten Besten ein, sich allezeit zu freuen, sondern nur den, der ihm ähnlich ist, ihm, der nicht mehr im Fleische lebte, sondern Christum lebendig in sich hatte1, da ja die Verbindung mit dem höchsten Gute ganz und gar für die Belästigungen des Fleisches unempfindlich macht. Im S. 199 Gegenteil, wird auch das Fleisch zerschnitten, der zerteilende Schnitt verbleibt dem leidenden Teile des Körpers, und eine Vermittlung des Schmerzes an den geistigen Teil der Seele ist nicht möglich. Wenn wir auf den Rat des Apostels hin die irdischen Glieder töten2 und den Tod Jesu an unserm Leibe herumtragen3, so kann die Wunde vom abgetöteten Leibe nicht bis zur Seele dringen, die die Verbindung mit ihm gelöst hat. Kränkungen, Verluste und Todesfälle von Angehörigen werden also nicht bis zum Geiste vordringen, werden also nicht die höchste Seite der Seele in Mitleidenschaft ziehen. Wenn nun diejenigen, welche in schwierige Verhältnisse geraten sind, ebenso denken wie der eifrige Mann, so werden sie keinem anderen Kummer machen, da sie ja durch die Prüfungen selbst nicht schmerzlich berührt sind. Leben sie aber nach dem Fleische4, so werden sie auch in diesem Falle zur Trauer keinen Anlaß geben, wohl aber bedauernswert befunden, nicht so fast der Umstände wegen als vielmehr deshalb, weil sie ihre Pflicht versäumt haben. Überhaupt wird eine Seele, die einmal von Verlangen nach dem Schöpfer gefesselt ward und an dieser Schönheit ihr Gefallen fand, diese Wonne und Freude nicht mit dem vielfachen Wechsel sinnlicher Lüste vertauschen; vielmehr wird das, was andere traurig stimmt, ihren Frohsinn steigern. Ein Beispiel ist der Apostel, der an Schwachheiten, Bedrängnissen, Verfolgungen, Nöten sein Wohlgefallen hatte und sich seiner Armut rühmt5. Bei Hunger und Durst, bei Kälte und Blöße, in Verfolgungen und Ängsten, worüber andere seufzen und des Lebens überdrüssig werden, da frohlockte er6. Diejenigen, die des Apostels Gesinnung nicht kennen noch verstehen, daß er uns zu einem evangelischen Leben aufruft, wagen Paulus anzuklagen, daß er uns Unmögliches zumute. Möchten sie doch sich sagen lassen, wieviel Anlaß zu berechtigter Freude die Freigebigkeit Gottes uns gibt!
S. 200 Wir sind ins Dasein gerufen worden, da wir nicht waren; nach dem Bilde des Schöpfers wurden wir7. Wir haben Geist und Vernunft, die unser Wesen ausmachen, die uns Gott erkennen lassen. Und betrachten wir aufmerksam die Schönheiten der Schöpfung, so lesen wir in ihnen, wie in Buchstaben, die allumfassende, große Vorsehung und Weisheit Gottes. Wir können zwischen gut und bös unterscheiden und sind von der Natur selbst in der Auswahl des Nützlichen wie in der Abkehr vom Schädlichen belehrt worden. Durch die Sünde Gott entfremdet, sind wir wieder in die Gemeinschaft mit Gott zurückberufen worden, durch das Blut des Eingeborenen aus der schimpflichen Knechtschaft erlöst. Und erst die Hoffnung auf die Auferstehung, der Genuß der Engelsgüter, das himmlische Reich, die verheißenen Güter, die alle Fassungskraft übersteigen!
