3.
Sollte man nicht diese Güter als ergiebige Quellen beständiger Freude und unversieglichen Frohsinns erachten? Soll man vielmehr glauben, der führe ein freudevolles Dasein, der dem Bauche dient, am Flötenspiel sich ergötzt, auf weichem Bette sich wälzt und schnarcht? Da möchte ich denn doch sagen, daß letztere mit Recht von den Vernünftigen beweint werden, erstere aber selig gepriesen, da sie das gegenwärtige Leben in der Hoffnung auf eine andere Welt zubringen und gegen die zeitlichen Güter die ewigen eintauschen. Mögen die, die mit Gott vereint sind, in Flammen weilen, wie die drei Jünglinge zu Babylon1, mögen sie mit Löwen eingeschlossen2, oder von einem Walfische verschlungen sein3, wir müssen sie selig preisen; sie leben ja in Freude und trauern nicht über ihre gegenwärtige Lage, sondern frohlocken ob der Hoffnung auf die Güter, die uns für später aufbehalten sind. Denn ich meine, der wackere Kämpfer, der sich einmal für den Kampfplatz der Gottseligkeit gerüstet hat, muß die Streiche der S. 201 Gegner heldenmütig aushalten — in der Hoffnung auf den Ruhm der Krönung. Denn auch bei den Kampfspielen lassen die, welche an die Anstrengungen der Ringschule gewöhnt sind, durch den Schmerz eines Hiebes sich nicht entmutigen, sondern sehen über das augenblickliche Opfer hinweg und gehen direkt auf den Gegner los — voll Verlangen, als Sieger ausgerufen zu werden. So wird auch der Eifrige die Freude sich nicht verderben lassen, wenn ihm etwas Widriges passiert, eben deshalb, weil „die Trübsal Geduld bewirkt, Geduld aber Bewährung, die Bewährung aber Hoffnung, die Hoffnung aber nicht zuschanden macht4“. Daher werden wir auch anderswo von demselben Apostel aufgefordert, geduldig zu sein in der Trübsal und uns zu freuen in der Hoffnung5. Die Hoffnung ist es also, die der Seele des Tugendhaften die Freude als Gefährten mitgibt.
Doch derselbe Apostel befiehlt uns auch, zu weinen mit den Weinenden6; und im Briefe an die Galater7 beweint er die Feinde des Kreuzes Christi8. Soll ich noch erwähnen, daß Jeremias weinte9, daß Ezechiel auf Gottes Befehl die Klagen des Fürsten niederschrieb10, und daß noch viele andere Heilige wehklagten? „Wehe mir, Mutter! Warum hast du mich geboren11?“ „Wehe mir! Weg sind die Frommen aus dem Lande; Rechtschaffene gibt es unter den Menschen nicht mehr12!“ Ferner: „Weh mir! Mir geht es wie einem, der in der Ernte Stoppeln sammelt13“. Überhaupt, such’ nach den Aussprüchen der Gerechten; wo irgend du einen noch schmerzlicheren Laut vernimmst, du wirst dich überzeugen, daß alle diese Welt und das elende Leben auf ihr beweinen. „Wehe mir, daß meine Pilgerschaft so lange währt14!“ Denn er verlangt, aufgelöst zu werden und S. 202 mit Christus zu sein15. Er beklagt also die Verlängerung der Pilgerschaft hienieden als Störung der Freude. Auch David hat in seinen Gesängen uns eine Klage über seinen Freund Jonathas hinterlassen, in der er zugleich auch seinen Feind betrauerte: „Ich trauere um dich, mein Bruder Jonathas16!“ „Töchter Israels, weinet um Saul17!“ Letzteren beklagt er, weil er in der Sünde gestorben, den Jonathas, weil er zeitlebens sein bester Freund war. Wozu noch weiter andere Beispiele? Weinte doch auch der Herr über Lazarus18 und Jerusalem19 und preist die Trauernden und Weinenden selig20!
Dan. 3, 21. ↩
Dan. 14, 30. ↩
Jon. 2, 1. ↩
Röm. 5, 3. ↩
Röm. 12, 12. ↩
Röm. 12, 15. ↩
Des Basilius oder eines Abschreibers Versehen für „Philipper“. ↩
Phil. 3, 18. ↩
Klagel. 1, 1 ff. ↩
Ezech. 2, 9. ↩
Jer. 15, 10. ↩
Mich. 7, 2. ↩
Mich. 7, 1. ↩
Ps. 119, 5 [Hebr. Ps. 120, 5]. ↩
Phil. 1, 23. ↩
2 Kön. 1, 26 [= 2 Samuel]. ↩
2 Kön. 1, 24 [= 2 Samuel]. ↩
Joh. 11, 35. ↩
Luk. 19, 41. ↩
Matth. 5, 5; Luk. 6, 21. ↩
