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Wir alle wollen also im einzelnen wie im allgemeinen unser Leben erforschen; wir wollen die Trockenheit gleichsam als eine Erzieherin betrachten, die einen jeden an seine Sünden erinnert. Wir wollen aufrichtigen S. 266 Herzens mit dem edlen Job sprechen: „Die Hand des Herrn ist es, die mich berührt hat1.“ Vor allem aber schreiben wir das Unglück zuerst und zunächst unseren Sünden zu. — Vielleicht darf man aber noch einen weiteren Grund hinzufügen: Manchmal kommen solche Heimsuchungen über die Menschen auch zur Prüfung der Seelen, damit im Unglück die guten erkannt werden, seien sie arm oder reich; denn die einen wie die andern bewähren sich erst recht in der Geduld. Vor allem zeigt sich in dieser Zeit, ob der eine freigebig und voll Bruderliebe, der andere dankbar und nicht vielmehr ein Lästerer ist, der mit veränderter Lebenslage sofort auch seine Gesinnung wechselt. Ich kenne viele — nicht vom Hörensagen, sondern aus eigener Erfahrung —, die, solange sie reichlich ihr Auskommen hatten und ihnen sozusagen alles nach Wunsch ging, ihrem Wohltäter doch einigermaßen Dank wußten, die aber, wenn die Dinge etwa eine unerwartete Wendung nahmen, wenn der Reiche verarmte, wenn auf die Vollkraft des Lebens Krankheit oder auf Ehre und Ansehen Schande und Schmach folgten, sich undankbar zeigten, Lästerungen ausstießen, im Gebete nachlässig wurden, gegen Gott murrten, als wäre er ihr säumiger Schuldner, nicht als ob sie einem zürnenden Gott gegenüber stünden.
Doch fort mit solchem Sinnen und Brüten! Siehst du, daß Gott einmal die gewohnten Gaben nicht reicht, so bedenke, daß es Gott nicht an der Macht fehlt, die Nahrung zu reichen. Wie denn? Ist er doch der Herr des Himmels und seiner ganzen Pracht, der weise Lenker der schlimmen und guten Zeiten, der Regent des Weltalls. Er ist es ja, der angeordnet hat, wie die Jahreszeiten und Sonnenwenden in wohlgeordnetem Reigen einander folgen sollen, damit sie durch ihren Wechsel uns mit dem nötigen Bedarf versehen. Er läßt jetzt zur rechten Zeit Feuchtigkeit eintreten, dann Wärme folgen, dann Kälte mit dem Jahre sich mischen, und er läßt uns auch nicht ohne die nötige Trockenheit. So ist denn Gott allmächtig. Ist er aber zugestandenermaßen dieser Mächtige, dann fehlt es ihm wohl an der Güte? S. 267 Auch dieser Schluß ist nicht zulässig. Denn wenn er nicht gut gewesen, welcher zwingende Grund bestand für ihn dann im Anfange, den Menschen zu erschaffen? Wer hätte den Schöpfer wider seinen Willen zwingen wollen, Erde zu nehmen und aus Lehm eine so schöne Gestalt zu formen? Wer hätte ihn zwingend bereden können, nach seinem Ebenbild den Menschen mit der Vernunft zu begaben, um, von ihr angeregt, Künste zu erlernen und über die höchsten Dinge, die den Sinnen unerreichbar sind, nachzudenken? Bei solcher Erwägung wirst du finden, daß Gott die Güte innewohnt und sie bis zur Stunde ihm nicht ausgegangen ist. Oder sag’ mir doch: Was ist schuld, daß wir jetzt nur eine Trockenheit sehen und nicht eine vollständige Verbrennung? Was würde hindern, daß die Sonne etwas von ihrer gewohnten Bahn abwiche, dem Erdkörper sich näherte und alles Sichtbare in einem Augenblicke versengte? Oder was könnte verhüten, daß Feuer vom Himmel regnete, wie schon früher einmal die Sünder bestraft wurden2?
Geh in dich, o Mensch, und sei vernünftig! Mach’ es nicht wie die unverständigen Knaben, die dem Lehrer für den Verweis, den sie von ihm bekommen, die Tafeln zertrümmern, oder dem Vater, der zu ihrem Nutzen die Mahlzeit verschiebt, die Kleider zerreißen, oder der Mutter mit ihren Nägeln das Gesicht zerkratzen! Den Steuermann prüft und bewährt der Sturm, den Kämpfer der Ringplatz, den Feldherrn die Schlacht, den Mutigen das Unglück, den Christen aber die Versuchung. Trübsale bewähren die Seele wie Feuer das Gold. Bist du arm? Werde nicht mutlos! Allzugroße Trauer wird eine Ursache zur Sünde, weil die Trauer die Seele niederdrückt, die Verzweiflung Schwindel verursacht und Ratlosigkeit Undankbarkeit erzeugt. Setz’ vielmehr deine Hoffnung auf Gott! Sieht er denn deine Not nicht? Er hält die Nahrung in seiner Hand, zögert aber mit dem Geben, um deine Standhaftigkeit zu prüfen, um deine Gesinnung kennen zu lernen, ob sie nicht die von Unmäßigen und Undankbaren ist. Denn auch diese loben, schmeicheln S. 268 und bewundern, solange sie die Speise im Munde haben. Wird aber der Tisch ein wenig aufgeschoben, so werfen sie mit Schmähungen wie mit Steinen nach denen, die sie eben noch für das genossene Vergnügen wie Gott verehrten. Geh das Alte und Neue Testament durch, und du wirst in jedem viele finden, die auf mannigfache Art ernährt wurden. Den Elias barg der Karmel, ein hoher, unbewohnter Berg, die Einöde den Einsamen; denn die Seele war dem Gerechten alles, und seine Wegzehrung war die Hoffnung auf Gott. Doch trotz dieser Lebensweise verhungerte er nicht; vielmehr brachten ihm gerade die raubgierigsten und gefräßigsten unter den Vögeln die Speisen; Nahrung besorgten dem Gerechten gerade die Vögel, die gewöhnlich anderen das Futter rauben; auf des Herrn Befehl änderten sie ihre Natur und wurden getreue Hüter des Brotes und Fleisches. Das brachten Raben dem Manne, wie wir aus der hl. Geschichte erfahren3. — Die Grube von Babylon beherbergte den israelitischen Jüngling, der zwar das Unglück hatte, gefangen zu sein, aber Herz und Geist sich frei bewahrte. Und was geschah da? Die Löwen fasteten wider ihre Natur; und sein Ernährer Habakuk kam durch die Luft daher; ein Engel trug den Mann mitsamt seinen Speisen. Damit der Gerechte ja nicht unter dem Hunger litte, ward der Prophet in kurzer Zeitspanne über soviel Land und Meer getragen, als zwischen Judäa und Babylon liegt4.
