8.
Höret, ihr Völker, vernehmt, ihr Christen! So spricht der Herr, zwar nicht selbst, sondern durch den Mund seiner Diener, die gleichsam seine Organe sind. Zeigen wir Vernunftbegabte uns doch nicht grausamer als die unvernünftigen Tiere! Diese leben vom natürlichen Wachstum der Erde wie von einem Gemeingut. Schafherden weiden auf einem und demselben Berg; viele Pferde suchen ihr Futter auf einer und derselben Wiese, und alle Tiere gestatten so einander den Genuß des nötigen Futters. Wir aber bergen in unserem Schoße, was allen gemeinsam ist und behalten allein, was vielen gehört. Wir sollen uns schämen, wenn wir von den Liebeswerken der Heiden erzählen hören. Bei einigen von ihnen gibt es zufolge einer sozialen Verordnung nur einen Tisch, gemeinsame Mahlzeiten, und das vielköpfige Volk bildet fast nur eine Familie1. Doch lassen wir die Heiden und wenden wir uns zum Beispiele der Dreitausend2. Ahmen wir die erste Versammlung der Christen nach, bei denen alles gemeinsam war: das S. 273 Leben, die Seele, die Eintracht, gemeinschaftlich der Tisch, unzertrennlich die Bruderschaft, ungeheuchelt die Liebe, die viele Leiber zu einem verband und viele Seelen auf eine und dieselbe Gesinnung stimmte. — Viele Beispiele der Bruderliebe hast du aus dem Alten und Neuen Testamente: Siehst du einen hungrigen Greis, so ruf ihn zu dir und ernähre ihn wie Joseph den Jakob3. Findest du einen Feind in Not, so füge zum Zorn nicht auch noch die Rache, sondern speise ihn wie jener seine Brüder, die ihn verkauft hatten4. Begegnest du einem Jüngeren, dem es schlecht geht, so beweine ihn, wie jener den Benjamin, den Sohn des Alters, beweinte5. Vielleicht versucht auch dich die Habsucht, wie den Joseph die Herrin, zieht dich an den Kleidern6, damit du das Gebot verachten und sie, die das Gold und die Welt mehr liebt, dem Gebote des Herrn voranstellen möchtest. Steigt nun in dir ein Gedanke auf, der diesem Gebote widerstreitet und den gesunden Sinn zur Geldliebe lockt, ihn zur Mißachtung der Nächstenliebe nötigen und an sie fesseln7 will, dann wirf auch du die Kleider ab, geh zürnend weg und bewahre dem Herrn die Treue wie jener dem Putiphar8. Steure ein Jahr der Hungersnot, wie jener sieben Jahre lang! Laß nicht alles im Genusse aufgehen; gib auch der Seele etwas! Denke, du habest zwei Töchter, das Wohlleben in dieser Welt und das Leben im Himmel. Willst du der besseren nicht alles geben, so teile wenigstens zu gleichen Teilen an die unzüchtige und keusche Tochter. Mögest du doch, wenn du einmal vor Christus hintreten und vor dem gerechten Richter erscheinen mußt, nicht ein besonders reiches Leben hienieden aufweisen, das andere tugendhafte Leben aber, das die Gestalt und den Namen einer Braut hat, nackt und in Lumpen gehüllt vorstellen (müssen)! Stelle also dem Bräutigam keine häßliche, ungeschmückte Braut vor, damit er nicht bei ihrem Anblicke das Gesicht S. 274 abwende, sie hasse und die Vermählung mit ihr ablehne. Ziere sie vielmehr mit dem entsprechenden Schmucke, erhalte ihr die Schönheit bis zur festgesetzten Hochzeit, damit auch sie mit den klugen Jungfrauen die Lampe anzünde9, das unauslöschliche Feuer der Erkenntnis habe und ihr das Öl der guten Werke nicht fehle, damit endlich die göttliche Weissagung in der Tat sich bestätige und auch deiner Seele der Ausspruch gelte: „Die Königin steht zu deiner Rechten im goldenen Kleide, gehüllt in buntes Gewand. Höre, Tochter, und schaue, neige dein Ohr, . . . und es verlangt der König nach deiner Schönheit10.“ Das hat der Psalmist zwar ganz allgemein verstanden, und so hat er vom Liebreiz des Leibes gesungen; doch passen die Worte recht eigentlich auf die Seele eines jeden einzelnen, wenn anders die Kirche die Vereinigung der einzelnen Glieder darstellt.
Basilius spielt hier auf die gemeinschaftlichen Mahlzeiten bei den Kretern, Spartanern und Karthagern an (vgl. Plutarch, Vita Lykurgi c. 10. 12; Aristoteles, Polit. II, 9—11). ↩
Apg. 2, 44. ↩
Gen. 47, 12. ↩
Gen. 37, 28. ↩
Gen. 43, 13. ↩
Gen. 39, 12. ↩
Nämlich an die Geldliebe. ↩
Gen. 39, 8—12. ↩
Matth. 25, 4. ↩
Ps. 44, 10. 11 [Hebr. Ps. 45, 10. 11]. ↩
