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Wie ging es sodann dem Volke in der Wüste, das Moses führte? Wie wurde es vierzig Jahre lang mit Speise versehen? Da gab es niemand, der säete, keinen Ochsen, der den Pflug zog, keine Tenne, keine Kelter, keine Scheune, und dennoch hatte das Volk seine Nahrung, ohne daß gesät oder gepflügt wurde. Und die Quellen, die es zuvor nicht gab, sondern erst zur Zeit der Not hervorquollen, bot ein Fels dar. Ich unterlasse es, die Werke der göttlichen Vorsehung einzeln aufzuzählen, die Gott oft an den Menschen in väterlicher Liebe S. 269 vollbracht hat. Du aber sei im Unglück etwas geduldig wie der edle Job; laß dich durch den Sturm nicht aus der Fassung bringen, und wirf nichts von der Ladung der Tugend, die du führst, über Bord! Bewahre in deiner Seele die Dankbarkeit als ein kostbares Kleinod, und du wirst für deine Dankbarkeit doppelten Lohn ernten. Erinnere dich des Apostelwortes: „Bei allem dankt1!“ Bist du arm, so weißt du sicher einen andern, der noch ärmer ist. Du hast Speise für zehn Tage, er nur für einen. Was du mehr hast, teile als guter und edeldenkender Mensch dem Armen mit! Steh nicht an, von dem Wenigen zu geben, und zieh deinen Nutzen nicht der allgemeinen Gefährdung vor! Besteht dein Vorrat nur noch aus einem Brote, und steht ein Bettler vor deiner Türe, so hole dieses eine aus der Speisekammer, nimm es in die Hände, erheb’ es gen Himmel und sprich das mitleidsvolle, gütige Wort: „Dies eine Brot, das du siehst, o Herr, habe ich noch, und die Gefahr steht mir vor Augen; aber ich halte mir dein Gebot vor und will auch von dem Wenigen dem hungernden Bruder geben; gib nun auch du deinem gefährdeten Diener! Ich kenne deine Güte, vertraue auf deine Macht; du säumst nicht zu lange mit deinen Wohltaten, sondern streust die Gaben aus, wann du willst.“ Und wenn du so redest und handelst, so wird das Brot, das du in der Not gibst, zum Samen der Aussaat, wird reiche Früchte tragen, ein Angeld auf deinen Unterhalt sein und dir Barmherzigkeit verschaffen. Sprich auch du die Worte, die in gleicher Lage die Witwe von Sidon gesprochen hat; erinnere dich zur rechten Zeit an die Geschichte: „So wahr der Herr lebt, das ist alles, was ich im Hause zur Nahrung für mich und meine Kinder habe2.“ Gibst du von dem, was du noch übrig hast, so wirst du auch einen Ölkrug haben, der von Segen überströmt, und einen Mehltopf, der nie leer wird. Denn seinen Gläubigen zuliebe ahmt Gott gern die Brunnen nach, aus denen immer geschöpft wird, ohne daß sie je leer werden, und vergilt doppelt. O du Armer, leihe dem reichen Gott S. 270 auf Zinsen! Vertraue ihm, der das, was du an einem Notleidenden tust, so aufnimmt, als hättest du es an ihm selbst getan, und seinerseits reichlich vergilt. Er ist ein verlässiger Bürge, da er seine Schätze über Land und Meer weit und breit ausgestreut hat. Verlangst du gar während der Schiffahrt dein Darlehen zurück, so wirst du auf offener See das Kapital nebst Zinsen erhalten; denn er zeigt sich großherzig im Zinsgeben.
