4.
[Forts. v. S. 322 ] Ein verständiger Mann wollte es recht genau nehmen und gab sich Mühe, es mit allen, die im Getriebe dieser Welt leben, zu versuchen, ob er etwa [von ihnen] Nutzen gewinnen könnte. Er wandte sich an Könige, Machthaber, Herrscher. Allein er fand bei ihnen kein rettendes Heilmittel, um es für seine Seele zu gebrauchen. Zwar verweilte er lange bei ihnen. Doch es half ihm nichts. Darauf ging er zu den Weltweisen und Rednern. Aber in gleicher Weise verließ er auch sie, ohne einen Gewinn mitzunehmen. Nun besuchte er die Maler, die Gold- und Silbergräber und alle Handwerker. Allein für seine Wunden vermochte er keine Heilung zu finden. Er zog sich auch von diesen zurück. Endlich sah er sich um nach Gott, der die Leiden und die Krankheiten der Seele heilt. Und wie er sich nun selbst betrachtete und alles dieses erwog, da zeigte es sich, daß sein Geist in eben jenen Dingen, von denen er sich offensichtlich voll Mißmut abgewendet hatte, ziellos umherschweifte1.
Stiglmayr (Der Katholik 4. F. 6. B. (1910) 57 f., Sachliches und Sprachliches bei Mak. S. 56 f.) hat die interessante Entdeckung gemacht, daß unter dem „verständigen Manne“ der Philosoph Sokrates gemeint ist. Die Quelle hierfür ist Platos Apologie des Sokrates c. 6―9 (21 B―23 C). — Sokrates wollte sich — so erzählt er hier — über den Ausspruch des Delphischen Gottes, er sei der Weiseste, Licht und Klarheit verschaffen. Er wandte sich zuerst an einen berühmten Politiker, dann hielt er Umschau bei Dichtern und Handwerkern, um zu sehen, ob sie nicht weiser seien als er. Allein zu seiner großen Überraschung mußte er wahrnehmen, daß sie nicht weise waren. Ja, noch mehr. Sie fühlten und merkten nicht einmal ihren Mangel an Weisheit. Sokrates selbst war sich seines Nichtwissens bewußt und insofern schien ihm der Gott, der ihn als den Weisesten bezeichnet hatte, und der doch nicht lügt, wahr gesprochen zu haben. Das Ergebnis seines Forschens und Suchens war der Entschluß, es zu halten wie bisher. — Diesen Bericht hat Makarius, wie Stiglmayr bemerkt, „entweder ziemlich eigenmächtig für seine paränetischen Zwecke umgemodelt, bezw. nach der aszetischen Richtung hin gesteigert und erweitert, oder er kannte ihn nicht aus der unmittelbaren Lektüre, sondern nur ungefähr vom Hörensagen oder aus einer späteren ungenauen Wiedergabe in einem Schriftwerke.“ Mit dieser umgeformten Erzählung will Makarius offenbar den Gedanken illustrieren: Ohne die höhere Hilfe und Kraft des heiligen Geistes kann der Mensch unmöglich der Armseligkeit, Sündhaftigkeit und Unwissenheit der eigenen Natur entkommen. ↩
