2.
Darum wollen wir auf sie und ihre Stimmen, die uns vom rechten Wege ablenken, nicht achten, wir wollen vielmehr die Macht der freien Selbstbestimmung, die uns von unserm Schöpfer verliehen worden ist, anerkennen, so daß es in unseren Kräften liegt, nach dem Besseren zu streben und vom Schlechteren uns zu enthalten. Denn „der gerechte Richter“ würde uns, so wir uns von den Leidenschaften beherrschen lassen, nicht bestrafen, falls er selbst deren Urheber wäre. Fort mit dem Gerede, sage ich, fort, laß dir solches nicht in den Sinn kommen! Denn verabscheuungswürdig für jede gottesfürchtige Gesinnung ist eine solch törichte und einfältige Lehre. Gott schuf ja reine und sehr gute Naturen. So sagt es der Heilige Geist klar und bestimmt bei der Weltschöpfung. Denn siehe, spricht er, „alles war sehr gut“1. Jeremias, der unter Wehklagen über die Schmach der Leidenschaften handelt, ruft aus: „Hat der Herr nicht gesprochen: Wer sprach je, daß etwas geschehen solle, ohne daß der Herr es geboten? Aus dem Munde des Allerhöchsten geht nicht das Böse, sondern das Gute hervor“2? Ferner richten im Evangelium die geistigen Mächte an den Herrn die Frage: „Herr, hast Du nicht guten Samen auf Deinen Acker gesät? Woher dieses Unkraut?“3. An einer andern Stelle aber spricht der Heiland selbst hierüber: „Jegliche Pflanzung, die mein Vater im Himmel nicht gepflanzt hat, wird ausgereutet werden“4. Denn alles, was Gott gepflanzt hat, ist gut, bezeugt Paulus, in dem Christus spricht: „Denn alles, was Gott geschaffen hat, ist gut“5. Erkenne daraus, daß die in uns verborgenen Leidenschaften nicht zu uns gehören, sondern Fremdkörper sind. Denn es heißt: „Von meinen verborgenen [Leidenschaften] reinige mich und vor fremden behüte Deinen S. 364 Diener”6. Und: „Fremdlinge erheben sich wider mich und Mächtige streben mir nach dem Leben“7. Und: „Richte o Herr, die, welche mir schaden; bezwinge die, welche mich bekämpfen“8. Wer sind nun die Verborgenen? Wer sind die, welche Unrecht tun und Krieg führen? Wer sind die Fremdlinge? Wer anders als die Geister der Bosheit, die den Tugenden Christi entgegen sind?
