§ 2.
1) Nach der vorbereitenden mystischen Deutung der Zeremonien der Myronweihe soll das tiefere Erfassen ihres Sinnes versucht werden. 2) Der Bischof und seine priesterliche Umgebung vermögen die hier verborgenen und absichtlich geheim gehaltenen Wahrheiten zu schauen, weil der göttliche Strahl da eindringen kann, wo er die entsprechende geistige Disposition vorfindet. 3) Die tiefer stehenden Klassen der Gemeinde schauen S. 150 das Sakrament nicht unverschleiert, sondern erhalten nur eine an die Hüllen desselben geknüpfte Erkenntnis.
Wohlan, nachdem wir die äußere Schönheit des ganzen herrlichen Ritus betrachtet haben, laßt uns auf seine (noch) göttlichere Schönheit blicken, indem wir ihn in sich selbst beschauen, wie er, die umgelegten Hüllen abstreifend, ihren seligen, sichtbar strahlenden Glanz verbreitet1 und uns mit seinem, den geistigen Menschen nicht verhüllten Wohlduft erfüllt. Denn die den Augen sichtbaren Vorgänge bei der Weihe des Myron sind der Teilnahme und den Blicken der (priesterlichen) Umgebung des Hierarchen keineswegs entzogen; sie erfordern im Gegenteil die Mitwirkung der Priester und gewähren ihnen eine mystische Erkenntnis, welche für die große Menge zu erhaben ist. Von ihnen wird das Sakrament ehrfurchtsvoll rings zugedeckt und von der Menge nach hierarchischem Gesetze abgesondert. Es leuchtet nämlich der Strahl der ganz heiligen Geheimnisse in die gotterfüllten Männer, weil sie mit dem Geistigen verwandt sind, rein und unmittelbar hinein und erfüllt, von den Hüllen befreit, ihr geistiges Fassungsvermögen mit Wohlduft. Zu den tiefer stehenden Klassen aber dringt er nicht auf dieselbe Weise hernieder, sondern wird von den Priestern, den Beschauern des Mystisch-Geistigen2, ohne Schaugepränge unter den geheimnisvollen Flügeln verdeckt, damit er vor jeder Berührung durch die Unheiligen geschützt sei. Durch jene rätselhaften heiligen Figuren aber werden die Klassen der Untergebenen in schöner Ordnung zu der ihnen entsprechenden heiligen Erkenntnis erhoben.
Der bildliche Ausdruck vom „Abstreifen der Hüllen und dem Aufglänzen der entschleierten Schönheit“ stammt aus der Sprache der Mysterien, wo es sich um reale Enthüllung der Götterbilder handelte. ↩
Die ältern lateinischen Übersetzungen folgen einer solchen Lesart κρυφίου sc. νοητοῦ oder verbinden κρυφίων τοῦ νοητοῦ = secretum invisibiles (Scotus Erig.). ↩
