§ 3.
Das Sakrament der Myronweihe gehört der Vollendungsstufe an und behauptet wie das Sakrament der S. 151 Eucharistie den höchsten Rang; es ist wie jenes mit einem feierlichen Ritus umgeben. 2) Die Prozession des Bischofs, Psalmen und Lesung folgen sich in derselben Weise wie dort und üben auf die Katechumenen Energumenen und Büßer, endlich auf die Glieder der Gemeinde dieselben wohltätigen Wirkungen aus. 3) Die Entlassung der zuerst genannten drei Klassen wird ebenfalls vor der eigentlichen sakramentalen Handlung vorgenommen. 4) Das Myron ist eine Mischung vieler wohlriechender Stoffe, welche jedem, der davon erhält, ihren Duft mitteilen. 5) Auf mystische Weise ist in dem Myron der „göttlichste Jesus“ zu erkennen, der voll überwesentlichen Wohlgeruches ist und unsern Geist mit Entzücken erfüllt. 6) Die Bedingung dafür ist, daß unsere geistigen Kräfte gesund, in der richtigen Verfassung und Beziehung zum Göttlichen sind, ähnlich wie die materiellen Wohlgerüche nur dann angenehme Empfindungen erregen, wenn die Sinne gesund und richtig disponiert sind.
Es gehört, wie ich sagte, das jetzt von uns gefeierte heilige Sakrament der Vollendungsstufe und -Kraft in der hierarchischen Ordnung an. Deshalb haben es auch unsere göttlichen Meister, als mit gleicher Würde und Wirksamkeit wie das heilige Sakrament der Eucharistie begabt, zum größten Teile mit den gleichen bildlichen Formen, mystischen Veranstaltungen und heiligen Gesängen rituell ausgestaltet. Du wirst sehen, wie der Hierarch in der gleichen Weise von der göttlichem Stätte (des Altars) aus den lieblichen Wohlgeruch in die heiligen Räume nacheinander voranträgt und wie er durch die Rückkehr an dieselbe Stelle (uns) belehrt, daß die Teilnahme am Göttlichen zwar bei allen Heiligen nach Würdigkeit sich vollzieht, daß es aber ganz und gar unverringert und unbewegt verbleibt und innerhalb ihrer der göttlichen Stabilität entsprechenden Eigenart verharrt1. In gleicher Weise verhelfen die Gesänge und Le- S. 152 sungen aus der heiligen Schrift den Ungetauften in (geistigem) Hebammendienst zur lebenspendenden Annahme an Kindesstatt und bewirken eine heilige Bekehrung der schuldbefleckten Besessenen und nehmen von denen, welche infolge ihrer Schwäche noch Besessene sind, Schrecknis und Blendwerk des Widersachers, indem sie ihnen, ihrem Fassungsvermögen entsprechend, die Erhabenheit des gottähnlichen Zustandes und Wirkens vorhalten. In dieser Macht werden sie eher selbst die feindlichsten Gewalten in Schrecken setzen und die Heilung anderer leiten; mit unbeweglicher Festigkeit in den eigenen Tugenden zur Nachahmung Gottes ausgerüstet werden sie nicht bloß für sich gegen die Anfechtungen des Bösen energische Kraft besitzen, sondern dieselbe auch andern einflößen2. Denen aber, welche vom Schlechten hinweg sich einer heiligen Gesinnung zugewendet haben, pflanzen sie eine heilige Verfassung ein, damit sie nicht wieder von der Sünde überwunden werden. Diejenigen, welchen zu der vollkommenen Heiligkeit noch irgend etwas mangelt, reinigen sie vollständig. Die Heiligen endlich führen sie zu den göttlichen Bildern (des Ritus) und zu deren Betrachtung und Gemeinschaft. Sie sättigen die Allheiligen in seligen und geistigen Betrachtungsbildern und erfüllen das Eingestaltige in ihnen mit dem Einen und machen es eins mit ihnen3.
Die Schilderung der Myronweihe stimmt mit der Notiz des Theod. Lektor eccl. hist. 2, 48 (M. 86a, 208) überein, wonach der monophysitische Patriarch Petrus Fullo (der Walker) von Antiochien (470 vertrieben) den Brauch einführte das Myron "in der Kirche im Beisein des ganzen Volkes zu weihen“ [vgl. Zeitschr. f. kath. Theologie XXII (1898) S. 285], Die Angabe ist für die Datierung der Dionysischen Schriften von erheblichem Werte. ↩
Ähnlich sagt Basilius instit. ascet. (M. 81, 621): Kämpfe gegen die Mächte und Gewalten (des Bösen), so daß du sie zuerst aus deinem eigenen Innern vertreibst … dann auch aus denen, welche zu dir ihre Zuflucht nehmen und dich zu ihrem Führer und Vorkämpfer machen. ↩
Unter den „Heiligen“ sind die Glieder der Gemeinde mit den Mönchen (ἱερὸς λαός) und unter den „Allheiligen“ die Kleriker zu verstehen. Über das „Eingestaltige“ derselben (τὸ ἑνοειδὲς αὐτῶν) das mit dem „Einen“ (τοῦ ἑνός) erfüllt wird, s. oben S. 125 [vgl. Histor.-Pol. Blätter CXXV (1900) S. 618 ff.]. Eine merkwürdige diesbezügliche Stelle bei Eckhard (Pfeiffer … I, 103, 30): „diu sêle hat das bilde (Gottes) an irm obersten Zwîge, da gotlich lieht ône underlâz an liuhtet“. ↩
