§ 5.
1) Den Engeln spendet die Quelle des göttlichen Wohlgeruches einen unmittelbareren und reicheren An- S. 155 teil weil sie wegen ihrer mehr gottähnlichen Natur eine größere Aufnahmsfähigkeit besitzen. 2) Die Menschen erfahren die Ausströmungen jenes Wohlduftes in naturgemäßer Verminderung. 3) Ein Sinnbild dieses Grundgesetzes göttlicher Mitteilungen bildet die Zeremonie, das Myron mit den zwölf Flügeln, welche die beiden Seraphim (Is. 6) versinnbilden, zuzudecken. 4) Die Seraphim stehen im engsten, innersten Kreis um Jesus, empfangen unmittelbar seine geistigen Spenden und erheben den nie verstummenden Lobgesang des Trisagion, den Ausdruck ihrer untrübbaren Erkenntnis und unablässigen heiligen Liebe.
Nach meiner Meinung ist es offenbar, daß den über uns stehenden Naturen, weil sie göttlicher sind, der aus der Quelle aufwallende Wohlgeruch sozusagen näher ist und sich ihnen reichlicher offenbart und mitteilt, da er in die durchsichtigste Natur derselben und ihr bestempfängliches geistiges Fassungsvermögen in Fülle überquillt und vielfältig eindringt. Vor den tiefer stehenden Geistern aber, welche keine so große Aufnahmsfähigkeit besitzen, verbirgt er unberührbar den höchsten Grad der Beschauung und Mitteilung und wird nur in Ausduftungen, welche der Natur der Teilnehmer entsprechen, in hierarchischem Ebenmaße zuerteilt. Unter den über uns stehenden Wesen nun ist es der so hoch erhabene Chor der Seraphim, welcher in der Zwölfzahl der Flügel symbolisiert wird, der rings um Jesus steht und gelagert ist, der in die seligsten Betrachtungen desselben, soweit es möglich ist, versinkt, der mit der geistigen Gabe in allheiliger Entgegennahme sich fromm erfüllt und der, um menschlich zu reden, den vielgepriesenen Gottesgesang1 mit nie verstummendem Munde erschallen läßt. Denn das heilige Erkennen der überweltlichen Geister, ist keiner Erschlaffung zugänglich; es schließt von ihrer S. 156 göttlichen Liebe jedes Aufhören aus und ist jeder Sünde und jeder Vergeßlichkeit enthoben. Daher deutet auch, wie ich glaube, der Inhalt ihres nie verstummenden Rufes ihre immerwährende und unerschütterliche Einsicht und Erkenntnis der göttlichen Vorzüge an, verbunden mit der höchsten Aufmerksamkeit und Dankbarkeit.
D. gebraucht hier das Wort θεολογία = Trisagion, während er sonst mit θεολογία die göttliche Offenbarung, mit θεολόγοι die inspirierten Schriftsteller bezeichnet (vgl. oben zu I, 1). Übrigens sagt auch schon Cyrill v. Jerus. cat. 23, 6 (M. 33, 1113) im gleichen Sinne θεολογία (ἐκ τῶν Σεραφίμ). Demnach hat θεολογεῖν auch die Bedeutung: „deitatem alicui tribuere“. ↩
