Cap. III.
Was bedeutet es nun, um auf das früher Gesagte zurückzukommen, daß Gott, während die ärgste Hungersnoth überall wüthete, doch der Sorge für die Wittwe nicht vergaß, und daß der Prophet zu ihr gesandt wurde, ihr Nahrung zu bieten? Wenn der Herr mich hier recht erkennen läßt, was er in Wahrheit damit künden wollte, so scheint er mir unsere Aufmerksamkeit auf ein Geheimniß hinzulenken; und was kann hier zutreffender sein, als das Geheimniß Christi und seiner Kirche? Nicht ohne tieferen Grund wird unter den vielen Wittwen eine einzige bevorzugt. Wer gleicht nun jener, zu welcher ein so hoher Prophet, der nachher in den Himmel aufgenommen ist, gesandt wurde, gerade S. 106 damals, als der Himmel drei Jahre und sechs Monate verschlossen war, und die ganze Erde unter großer Hungersnoth seufzte? Ueberall Hunger und Elend — nur diese eine Wittwe litt keinen Mangel! Was deuten jene drei Jahre? Sicher jene Jahre, in welchen der Herr herniederstieg und an dem Feigenbaume keine Frucht entdecken konnte, nach dem Worte der Schrift:1 „Siehe, drei Jahre sind es nun, daß ich komme, Frucht zu suchen an diesem Feigenbaume, und ich finde keine.“
Jene Wittwe ist’s, von der geschrieben steht:2 „Sage Lob, du Unfruchtbare, die du nicht gebärest, singe Lob und jauchze, die du nicht Mutter wurdest; denn mehr Kinder hat die Verlassene, als die, welche vermählt ist, spricht der Herr.“ Es ist jene, welche das Segenswort hörte: „Der Schmach deiner Jugend wirst du vergessen und der Schande deiner Wittwenschaft nicht mehr gedenken; denn dein Schöpfer wird dein Gebieter.“ Jene Wittwe ist es, welche ihren Gemahl zwar dem Leibesleben nach verloren hat, die aber am Tage des Gerichtes den Menschensohn, dessen Verlust sie so bitter beklagte, wieder gewinnen wird. „Nur einen Augenblick, spricht der Herr, eine kleine Weile habe ich dich verlassen,“ damit die Verlassene um so glorreicher ihm Treue bewahre.
Hier haben nun Alle, Jungfrauen, Vermählte und Wittwen ein Beispiel zur Nachahmung; und die Kirche umfaßt sie Alle, weil Alle ein Leib sind in Christo dem Herrn. Sie ist jene Wittwe, um derentwillen, als Dürre auf dem Erdkreis lastete, die Propheten des göttlichen Wortes gesandt wurden; sie war eine trauernde kinderlose Wittwe, aber in der Stunde, die der Herr bestimmt, sollte sie vieler Kinder sich erfreuen.
Nicht ohne Beachtung darf ferner die Person des Propheten bleiben, auf dessen Wort die dürre Erde mit S. 107 himmlischem Thau erquickt ward, dessen übermenschliche Gewalt den verschlossenen Himmel wieder öffnete. Wer anders vermag denn die Himmel zu öffnen, als Christus, der tagtäglich aus der Mitte der Sünder seine Erndte hält für das Heiligthum der Kirche?! Oder kann menschliche Macht sagen: „Der Mehltopf soll nicht abnehmen und der Oelkrug soll nicht leerer werden bis zum Tage, an dem der Herr Regen geben wird über das Land her?“ Der Prophet zwar spricht die Worte, aber in Wahrheit ist es der Mund des Herrn, der so redet; und jener kündet das selbst durch den Zusatz: „So spricht der Herr.“ Und wer anders, als der Herr selbst, kann die nicht versiegende Quelle der himmlischen Sakramente verheißen? wer anders könnte den unaufhörlich sprudelnden Gnadenborn geistiger Freude zusagen, die Speise der Seele, die Besiegelung des Glaubens, die Gabe der Tugend verleihen?
Was bedeuten aber die Worte: „bis zum Tage, an dem der Herr Regen geben wird über das Land her?“ Ohne Zweifel dasselbe, was der Psalmist andeutet:3 „Der Herr wird herabkommen, wie der Regen auf das Fell, wie Regengeträufel auf die Erde.“ Dadurch wird das Geheimniß jener alten Geschichte erschlossen, in welcher Gedeon, der heilige Streiter im geheimnißvollen Kampfe, als er das Zeichen des künftigen Sieges empfing, gotterleuchteten Geistes erkannte, daß jener Regen der Thau des göttlichen Wortes sei. Er fiel zuerst auf das Fließ, während die Erde ringsum in der alten Dürre erstarrte; dann aber traf er den steinharten Boden der Erde, welche unter dem Himmelsergusse erfrischt aufatmete, während das Fließ trocken blieb.4
Für ein prophetisches Auge war das ein Vorzeichen des künftigen Wachsthums der Kirche. Zuerst rieselte ja der Thau des göttlichen Wortes nieder auf Judäa („Bekannt ist Gott,“ sagt der Psalmist,5 „im Lande Juda in Israel groß S. 108 sein Name“), während weithin die ganze Erde dürre blieb und baar der rechten Erkenntniß. Als dann aber Josephs Schaaren den Herrn zu verleugnen anfingen, als sie in thörichtem Beginnen durch ungeheure Frevel die göttliche Majestät beleidigten, da strömten über die ganze Erde hin die himmlischen Regenschauer; das Volk der Juden aber erstarrte in der Geistesdürre seiner Treulosigkeit, während die heilige Kirche, die aus allen Theilen der Erde ihre Kinder sammelte, befruchtet ward aus den Wolken, welche der Prophet geschaut, welche auf das Wort der Apostel zu strömenden Segensergüssen sich öffneten. Nicht von der Erde sind diese Wolken empor gestiegen, nicht aus der Verdichtung der Gebirgsnebel zusammengeballt — nein, sie sind göttlichen Ursprungs, und in den Worten der heiligen Schriften haben sie sich über die weite Erde ergossen.
Aus diesem Beispiel leuchtet hervor, daß nicht Alle ohne Unterschied, sondern nur diejenigen, welche durch das Streben nach wahrer Gottesfurcht sich empfehlen, der Wunder der göttlichen Allmacht gewürdigt werden; daß ferner Jene der Segnungen des göttlichen Wirkens verlustig werden, welche der Gottesfurcht entrathen. Gleichzeitig belehrt uns jenes Beispiel, daß der Sohn Gottes, um seine Kirche zu stiften, geheimnisvoller Weise menschlichen Leib annahm, nachdem das Volk der Juden verworfen war, so daß es fortan weder Rathgeber noch Propheten mehr haben wird, während ihm die Beweise wunderbarer göttlicher Erbarmung für immer versagt sind, weil es unter der Herrschaft des Neides, dieses alten Erbübels der Söhne Israels, an den Sohn Gottes nicht glauben wollte.
