b. Bei Gratian.
1. Über welche Angelegenheiten keine entscheidende1 S. 208 Auctorität in den Büchern des alten Testamentes, der vier Evangelien mit allen Schriften der Apostel vorkommt, (hierüber) befrage die göttlichen griechischen Schriften. Wenn auch in diesen nicht, so sieh' die Canones des apostolischen Stuhles ein. Wenn auch da nicht, so nimm die katholischen Geschichten der katholischen Kirche, welche von katholischen Lehrern geschrieben sind, zur Hand. Wenn auch in diesen nicht, so führe dir die Beispiele der Heiligen lebhaft in's Gedächtniß. Läßt sich nach Einsicht alles Dessen die Beschaffenheit dieser Frage nicht deutlich erforschen, so versammle die Ältesten der Provinz und befrage sie. Denn leichter wird gefunden, was von mehreren Ältesten gesucht wird. Denn der Herr, der wahrhafte Verheisser, sagte:2 „Wenn Zwei oder Drei aus euch auf Erden in meinem Namen was immer begehren, so wird es ihnen werden von meinem Vater."3
2. Den Irrthum, welchem man nicht Widerstand leistet, billiget man, und die Wahrheit, welche man nicht vertheidigt, unterdrückt man. Denn die Unterdrückung der Bösen, obwohl man es kann, verabsäumen ist nichts Anderes als sie unterstützen. Und der ist nicht frei von dem Verdachte eines geheimen Bündnisses, welcher es unterläßt, einenm offenbaren Frevel entgegenzutreten.4
3. Niemand darf den ersten Stuhl richten, der selbst die Gerechtigkeit zu handhaben verlangt. Denn weder vom S. 209 Kaiser noch vom ganzen Klerus noch von den Königen noch vom Volke darf der Richter gerichtet werden.5
4. Wenn ein Mönch zum Klerikate befördert wird, so sollen ihm die Beneficien, das Getreide und die Zehenten ohne alle Schmälerung uud Zögerung gegeben werden, damit er nach besten Kräften, wenn eine Noth eintritt, zu den kirchlichen Arbeiten und auch zur Wiederherstellung der Kirche beitragen könne.6
5. Zwischen unseren genannten Brüdern, Fulgentius, Bischof von Astigis, und Honorius, Bischof von Corduba, ist ein Streit wegen der Parochie einer gewissen Basilika entstanden, welche der Eine von ihnen als Cellanensisch,7 der Andere als Regiensisch8 behauptete. Und da zwischen beiden Parteien bisher die Grenzfrage behandelt wurde, in welcher allerdings ein langer Besitz dem Rechte keinen Eintrag bringt, so wurden, damit unser Ausspruch bei ihnen nicht mehr in Zweifel gezogen werde, nach Vorlegung der Canones die Synodal-Entscheidungen verlesen. Dieselben ermahnen, die Begierde solle so bezähmt werden, daß Niemand fremde Grenzen verletze; deßhalb kam man zwischen beiden Parteien überein, daß Inspectoren abzusenden seien, das Herrschaftsrecht der besitzenden Kirche (doch nur, die durch wahrhafte Zeichen bestimmte Grenze dargethan, welcher Kirche das Recht des Besitzes zusteht) ein ewiges sei. Wenn aber eine gesetzmäßige Grenze dieselbe Basilika nicht abschließt und die vorgehaltene so lange Verjährung bewiesen wird, so soll die Appellation des gegenwärtigen9 Bischofs ungiltig sein, weil ihm eine 30jährige S. 210 Einwendung Schweigen auferlegt. Das nemlich verordnen die Edicte weltlicher Fürsten und entschied die Anordnung der römischen Bischöfe. Wenn aber innerhalb der 30 Jahre der Besitz einer Basilika aus fremdem Gebiete als unrecht befunden wird, so solI sie dem Rechte des sie zurückfordernden Bischofes ohne Zögern zurückgestellt werden.10
6. Als der Herr von den Juden gefangen genommen wurde und Petrus das Ohr eines Ungehorsamen abhieb, verbot er zu schlagen und verbot, als Vorbild aller Priester (deren Erster er war), auch für ihn selbst fleischliche Waffen zu ergreifen.11
7. Wenn ein Ehetheil den Sohn oder die Tochter eines Anderen aus der Taufe gehoben oder bei der Firmung gehalten oder die Taufe gespendet hat, so werden Beide, Mann und Frau, die (geistlichen) Miteltern zu den Eltern des Kindes, weil Mann und Weib ein Fleisch sind.12
8. Wenn Jemands verheiratheter Onkel oder Oheim gestorben ist und seine Wittwe hernach einen anderen Mann geheirathet und von ihm Söhne und Töchter geboren hat, so verbieten wir (ihm) gänzlich die Ehe mit diesen, weil Mann und Weib e i n Fleisch sind.13
9. Wenn ein Weib eine zweite Ehe eingegangen und dem zweiten Manne Söhne und Töchter geboren hat, so S. 211 hat die hl. römische Synode ihnen die Schließung einer Ehe mit den Kindern des ersten Gatten verboten.14 S. 212
Wörtlich: keine Auctorität zum Lösen und Binden. ↩
Matth. 18, 19. ↩
D. XX. c. 3., gänzlich unbestimmt. ↩
D. LXXXIII. c. 3; dieselben Worte citirt Gratian C. III. qu. 9, c. 2. als Decret des P. Eleutheros aus dessen 2. pseudo-isid. Decretalbriefe (vgl. Papstbriefe I. S. 2666, Note 4); Pseudoisidor verwerthete sie in dem Schreiben an P. Julius I. (vgl. Papstbriefe II. S. 176) und in dem der ägyptischen Bischöfe an den sog. Felix II. (vgl. Papstbriefe II. S. 258); sie sind dem 2. Briefe des P. Felix II. (III.) an Acacius entlehnt (cf. Thiel, epistolae Rom. Pontif. p. 236). ↩
Ist das 20. cap. des apokryphen Constitutums Silvesters; vgl. Papstbriefe II. S. 255. ↩
Ganz unbestimmt, vielleicht von Innocentius II. ↩
Richtiger nach der Handschrift und Druckausgabe des Concils: Celticensisch, welche Stadt schon Plinius III. 1. erwähnt. ↩
Oder: Reginensisch, das heutige Vila de Reyna. ↩
Besser: repetentis, des zurückfordernden, reclamirenden. ↩
C. XVI. qu. 3, c. 6; ist c. 2. conc. Hispal II. a. 619 (Vgl. Hefele III. S. 66.) ↩
C. XXIII. qu. 8, c. 2., gleichfalls gänzlich unbestimmt. ↩
C. XXX. qu. 4, c. 3; ist von Gratian irrthümlicher Weise, weil das vorhergehende Stück aus Innocentius citirt ist, gleichfalls aus dessen Briefe an Bischof Exsuperius angeführt, wo es nicht vorkommt; läßt sich nicht nachweisen. ↩
C. XXXV. qu. 10, c. 2., unbestimmbar. ↩
Ibid. c. 4., unbekannt; vgl. Papstbriefe I. S. 254, Note 6 —Überdies führt nach Mansi (III. p. 1127 u. Suppl. I. p. 277) eine alte Lucensische Handschrift einer Canonensammluug „aus einem Schreiben des Papstes Innocentius aus dem nicänischen Concil“ (23!) Cannes dieses Cocils an; es dürfte dieß das Werk eines Compilators sein, welcher aus den verschiedenen Briefen dieses Papstes dessen Citate der nicänischen Canones zusammenstellte, in aphoristischer, mitunter fast unverständlicher Fassung, darunter auch als 13. den von HefeIe (I. S. 372) besprochenen und von Innocentius in seinem oben unter Nummer 3 aufgeführten Schreiben (n. 9.) angebIich aus dem Nicänum citirten Canon über die Ausschließung der Soldaten vom Klerus. Ferner zahlt jener Codex 6 Canones aus dem Briefe an Exsuperius, 1 aus dem an die Synode von Toledo, 11 aus dem an Bischof Victorius (eig. Victricius), 2 aus einem an den Bischof (sic !), 9 aus jenem an Decentius und 1 aus einem Briefe an Aurelius auf; alle in barbarischem, nahezu unverständlichem Latein, welche, weil gänzlich ohne Bedeutung und nichts Neues bietend, hier nicht aufgenommen werden. ↩
