2.
Laßt uns also, Geliebteste, beim Eintritt in die geheimnisreiche, durch das Sühnemittel des Fastens geheiligte Zeit dafür sorgen, den Weisungen des Apostels nachzukommen, „indem wir uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes reinigen!“1 . Laßt uns das Ringen, das zwischen den beiden Bestandteilen des Menschen stattfindet, in die rechten Bahnen leiten, damit die Gott unterstellte Seele, der die Führung des Leibes zukommt, ihre würdevolle herrschende S. 207Stellung behaupte! Niemand wollen wir Grund zum Ärgernis geben und uns keinen Tadel unserer Gegner zuziehen! Werden ja die Ungläubigen mit Recht über uns herfallen und die Zungen der Gottlosen unsere Fehler als Waffe zur Verunglimpfung des Glaubens gebrauchen, wenn das sittliche Verhalten des Fastenden mit der Reinheit einer vollkommenen Beherrschung2 im Widerspruche steht. Liegt doch die ganze Bedeutung unseres Fastens nicht in einer bloßen Enthaltung von Speise, ist es doch nutzlos, dem Leibe seine Nahrung zu entziehen, wenn sich nicht auch unser Herz von aller Ungerechtigkeit abwendet und sich nicht unsere Zunge vor Verleumdung hütet. Eine Einschränkung unserer Freiheit im Essen muß auch eine Zurückdämmung unserer anderen Begierden aus demselben Gesichtspunkte zur Folge haben. Jetzt ist die Zeit, in der Sanftmut und Geduld, Friede und Ruhe bei uns einkehren sollen, in der wir jede sündhafte Befleckung von uns fernhalten und uns alle Tugenden dauernd zu eigen machen müssen. Jetzt möge sich der Starkmut der Frommen daran gewöhnen, Verfehlungen zu verzeihen, Kränkungen unbeachtet zu lassen und Beleidigungen zu vergessen! Jetzt muß sich der Gläubige üben, „mit den Waffen der Gerechtigkeit zum Angriff und zur Verteidigung“3 . Inmitten von Ruhm und Geringschätzung, von guter und böser Nachrede soll er auf diese Weise sein sicheres Gewissen und seinen unerschütterlichen Rechtssinn frei halten von Dünkelhaftigkeit, wenn man ihm Anerkennung zollt, und frei von Erschlaffung, wenn der Tadel seine Stimme er hebt. Nicht Trübseligkeit, sondern Heiligkeit sei der Grundzug gottesfürchtiger Demut! Auch soll man von jenen keine murrenden Klagen hören, die stets in heiligen Freuden Trost finden können. Bei der Ausübung mildtätiger Werke fürchte man nicht, an seinen weltlichen Gütern Einbuße zu erleiden!
Stets ist die christliche Armut reich , weil das, was S. 208sie hat, mehr ausmacht, als das, was ihr abgeht. Auch besorgt der nicht, auf Erden Not zu leiden, dem es gegeben ist, im Herrn aller Dinge sein ganzes Hab und Gut zu erblicken. Wer also Gutes tun will, dem braucht nicht im geringsten für eine Aufbringung der dazu erforderlichen Mittel bange zu sein, da auch an der nur zwei Heller betragenden Gabe der Witwe im Evangelium der Opfersinn gerühmt wurde4 und selbst derjenige, der uneigennützigerweise einen Becher frischen Wassers reicht, nicht unbelohnt bleiben soll5 . Bildet doch die Gesinnung der Frommen den Gradmesser für das Maß ihrer Liebeswerke. Nie wird dem die Möglichkeit fehlen, Erbarmung zu üben, dem nicht die Barmherzigkeit selber fremd ist. So war es mit der heiligen Witwe von Sarepta, die dem seligen Elias bei einer Hungersnot ihre ganze, nur noch für einen einzigen Tag reichende Speise vorsetzte, und ohne zu zögern das wenige Mehl und die paar Tropfen Öl, die sie noch hatte, hergab, weil es ihr mehr darum zu tun war, den Hunger des Propheten zu stillen, als ihre eigenen notwendigen Bedürfnisse zu befriedigen. Aber dennoch gebrach es ihr nicht an dem, was sie so zuversichtlich spendete: Aus den Gefäßen, die sie zu jenem frommen Zwecke geleert hatte, entquoll für sie neuer Segen. Infolge des heiligen Gebrauches, den sie von ihrer Habe machte, besaß sie immer die Dinge in Fülle, die sie nicht zu verlieren gefürchtet hatte6 .
