2.
Nun wollen wir sehen, wie es zu verstehen ist, wenn der Prophet sagt: „Glückselig sind alle, die den Herrn fürchten,“1 Wenn alle, die den Herrn fürchten, glückselig sind, so gibt es niemanden, der nicht glückselig ist. Denn es gibt kein Volk, es gibt kein Tier, es gibt schließlich überhaupt kein Lebewesen, das nicht Gott fürchtet. Aber: wenn wir plötzlich mit Schrecken Geräusche vernehmen, weil allenthalben die Angeln der Welt erschüttert sind; wenn in ganz ungewohnter Weise der Himmel in schrecklichem Krachen ertönt; wenn schwere Wolken undurchdringliche Finsternis hervorrufen und aus ihr wie Feuerschlangen Flammen an Flammen aufleuchten und zuweilen das Licht des unterbroche- S. 129 nen Tages vortäuschen; wenn unter den Blitzes strahlen vieles, vieles in Flammen aufgeht; wenn die Erde entweder bebt oder sich im geöffneten Krater in sich selbst zurückzieht: so kann dabei von Glückseligkeit da nicht die Rede sein, wo die Furcht nur aus der Not und nicht aus der Religiosität quillt. Hören wir deshalb, wozu die Schrift uns mahnt: „Und nun, Israel, was fordert der Herr, dein Gott, von dir anderes, als daß du den Herrn, deinen Gott, fürchtest und auf seinen Wegen wandelst und ihn liebst und seine Gebote hältst aus ganzem Herzen und aus ganzer Seele, damit es dir gut ergehe."2 Seht ihr nun, daß solche Furcht für uns eine Notwendigkeit ist? Die Furcht, die auf der Liebe Gottes beruht; die aus eigenem freien Willen hervorgeht; die ihre Ehre in der Anerkennung des Willens Gottes sieht; die entschlossen ihren Weg zu allen Arten von Tugenden nimmt; die getreulich allen Geböten Gehorsam leistet; die ohne äußern Zwang in Unschuld lebt3 und die Gerechtigkeit in besonderem Maße pflegt; die unermüdlich darauf ausgeht, nichts zu fürchten außer Gott, den sie liebt.
