Vierundvierzigster Vortrag: Über die Stelle: „Am Abend jenes ersten Wochentages waren die Jünger versammelt und hatten die Türen aus Furcht vor den Juden verschlossen...“ bis: „Thomas antwortete und sprach zu ihm:'Mein Herr und mein Gott!'“ Joh 20,19-28
Während der vierzig Tage, an denen der Herr nach seiner Auferstehung, wie uns berichtet wird und wir glauben, seinen Jüngern zu verschiedenen Malen erschienen ist, handelt auch unsere Predigt ganz mit Recht über diese Lesungen und erörtert ihren geheimnisvollen Inhalt, damit eure Trauer über das Leiden des Herrn durch den wiederholten Nachweis der Auferstehung euch werde verwandelt in vollkommene Liebesfreude, damit der, welcher vorher aus eigener Kraft auferstand in unserem Fleische, nun auch Auferstehung feiere durch unseren Glauben in unseren Herzen! S. 242„Am Abend jenes ersten Wochentages waren die Jünger versammelt und hatten die Türen verschlossen aus Furcht vor den Juden. Da kam Jesus und trat mitten unter sie“1 . „Am Abend.“ Abend war es mehr infolge ihrer Trauer als der Zeit nach. Abend ist es, wenn der Schleier der Klage und der Trauer sich legt über den düster [sinnenden] Geist! „Am Abend.“ Denn wenn auch die Kunde von der Auferstehung [Jesu] ihnen einige dunkle Zweifel genommen hatte, so war ihnen doch noch nicht der Herr erschienen leuchtend in dem vollen Glanze seines Lichtes. „Aus Furcht vor den Juden hatten sie die Türen verschlossen, wo sie versammelt waren.“ Die Größe des Schreckens und der Freveltat [der Juden] hatte mit solchem Sturmwind das Herz der Jünger und ihre Herzen eingeschlossen und jeglichem Lichte den Zugang versagt, dass sich mehr und mehr, zumal da schon ihr Geist von Trauer ganz verdunkelt war, über sie lagerte die tiefschwarze Nacht der Verzweiflung. Keine Dunkelheit einer Nacht kann verglichen werden mit der Finsternis der Trauer und der Furcht, weil diese durch kein Licht des Trostes und des Rates gemildert werden kann. Vernimm, was der Prophet sagt: „Furcht und Schrecken kam über mich, und Finsternis bedeckte mich“2 .
„Aus Furcht vor den Juden hatten sie die Türen, wo sie versammelt waren, verschlossen. Da kam Jesus und trat mitten unter sie“3 . Warum zweifelt man4 , so frage ich, dass die absolut einfache Gottheit hätte eindringen können in das geheimnisvolle Innere des verschlossenen Leibes und in das jungfräuliche Gemach, das verriegelt war durch vollkommene Unversehrtheit, dieselbe Gottheit, die nach der Auferstehung, obwohl sie mit unserem Leibe in geheimnisvoller Weise verbunden war5 , bei verschlossenen Türen ein und ausgeht, S. 243obwohl sie doch durch diesen Beweis sich als den Herrn der gesamten Schöpfung erweist, dem nichts widersteht, dem in allem die Schöpfung dienen muß? Wenn aber die Jungfräulichkeit für den Schöpfer kein Hindernis bildet bei seiner Empfängnis und seiner Geburt, wenn die verschlossene Tür6 ihrem Schöpfer den Ein und Ausgang nicht verweigern konnte, wie hätte dann der Stein auf dem Grabe, auch wenn er groß war, auch wenn jüdische Bosheit ihn versiegelt hatte, sich widersetzen können dem auferstehenden Erlöser? Aber wie die Jungfrauschaft und die verschlossene Tür [der Jungfrau Mutter Jesu] den Beweis liefern, dass er Gott war, so bekäftigt auch der weggewälzte Stein den Glauben an seine Auferstehung; denn der weggewälzte Stein hat wahrhaftig nicht dem Herrn das Hervorgehen [aus dem Grabe] ermöglicht,7 sondern er brachte und ermöglichte in der Nacht8 dem Glauben den Zutritt [zu dem Auferstandenen]. „Da kam Jesus und trat in ihre Mitte und sprach zu ihnen: 'Friede sei mit euch!9 . Der Jünger Herz kämpfte [lange] den steten Kampf zwischen Glauben und Zweifel, Verzweiflung und Hoffnung, Verzagtheit und Seelenmut; doch sie hielten duldend den Kampf aus. Da aber [Jesus] die Kämpfe solcher Gedanken in seiner Allwissenheit voraussah, gab er ihnen den Herzensfrieden wieder sogleich, als sie ihn erblickten, damit er, der ihnen durch sein so plötzliches Scheiden die Ursache für die Seelenkämpfe war, auch ihnen jetzt, wo er ihren Augen wiedergegeben war, wegnehme die Ursache jeglichen Seelenkampfes. “Die Jünger freuten sich, den Herrn zu sehen„10 , heißt es. “Sie freuten sich.„ Wie nach der Finsternis um so angenehmer das Licht ist, wie nach stürmischer Nacht S. 244um so heiterer der Himmel lacht, so ist auch nach der Trauer die Freude um so willkommener. “Abermals sprach er zu ihnen: 'Friede sei mit euch!'„11
Was anders will er durch die Wiederholung dieser angenehmen Friedensbotschaft bekunden, als dies: Die Ruhe, die er dem Geiste eines jeden einzelnen verliehen hatte, sollte nach seinem Willen auch in ihnen bewahrt bleiben, weil er ihnen wiederholt und reichlich den Frieden verliehen hatte. Er wußte ja, dass unter ihnen bald kein geringer Streit ausbrechen würde wegen ihres Zweifels, indem der eine sich rühmen würde, im Glauben standgehalten zu haben, der andere trauern würde, dem Zweifel sich hingegeben zu haben. Um also sowohl dem Prahler jeden Anlaß zum Hochmut und zur Selbstgefälligkeit zu nehmen, als auch anderseits dem, der schwach gewesen sei, Rettung zu verleihen, um so alle Leidenschaften zu bannen, schreibt er in gütiger Fürsorge alles, was geschehen sei, ihrer Lage, nicht aber den Jüngern zu, und dämpft so schon im Anfang jeden Streit nieder durch die Macht seines Friedens. Es sollte nicht der eine dem anderen vorwerfen, was er [Christus], dem die ganze Schuld gehörte, schon für alle Zukunft vergeben hatte. Petrus verleugnete ihn12 , Johannes floh13 , Thomas zweifelte14 , alle verlassen ihn15 ; hätte ihnen Christus nicht seinen Frieden gegeben, so hätte Petrus, der der erste von allen war16 , als der geringste von allen gelten müssen, und der zweite hätte sich vielleicht in unverantwortlicher Weise gegen den ersten erhoben. “Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch„17 . Durch das Wort “gesandt„ wird der Sohn nicht als geringer [als der Vater] bezeichnet, sondern nur in dieser seiner Eigenschaft [als vom Vater gesandt] S. 245bekundet18 . Denn er will darunter nicht verstanden wissen die Macht des Sendenden19 , sondern nur die Liebe [des Sendenden] zu dem Gesandten; denn er sagt: “Wie mich der Vater gesandt hat.„ Er sagt ja nicht: “der Herr„, sondern: “der Vater„.
“So sende ich auch euch.„ Nicht mit der Gewalt eines Befehlenden, sondern mit der ganzen Liebe eines Liebenden sende ich euch aus, den Hunger zu ertragen, die Bande zu erdulden, das schmutzige Gefängnis nicht zu scheuen, alle Arten von Leiden zu ertragen, das Joch des Todes, das allen so verwünscht ist, selbst auf euch zu nehmen: Opfer, die alle die Liebe dem Menschenherzen auferlegt, nicht aber eine Macht von ihnen verlangen kann. “Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen. Welchen ihr sie behalten werdet, denen sind sie behalten„20 . Er gab ihnen die Gewalt, Sünden nachzulassen, da er durch seine Anhauchung ihnen verlieh und eingoß sich, den Sündenvergeber selbst. “Nach diesen Worten hauchte er sie an und sprach:'Empfanget den Heiligen Geist. Welchen ihr die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen'„21 . Wo sind nun die, die da behaupten, dass durch Menschen den Menschen die Sünden nicht vergeben werden könnten, sie, die diejenigen, die infolge der Überwindung des Teufels auch nur einmal gefallen sind, so niederhalten, dass sie sich nicht mehr erheben sollen, die den Kranken die Arznei, den Wunden das Heilmittel in ihrem grausamen Sinne entziehen und verweigern, die den Sündern in ihrer Gottlosigkeit die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Kirche gänzlich vernichten?22 . Petrus läßt die Sünden nach und nimmt mit voller Freude die Büßenden auf und vereinigt in seiner Person die Fülle dieser S. 246Gewalt, die allen Priestern von Gott eingeräumt ist. Denn wenn er nach seiner Verleugnung keine Buße geleistet hätte, hätte er den Ruhm seines Apostelamtes und so zugleich das Leben [der Seele] selbst verloren! Und wenn Petrus durch seine Buße wieder zurückkam, wer könnte dann wohl ohne Buße bestehen? “Thomas aber, als er von seinen Mitjüngern hörte, dass sie den Herrn gesehen hätten, erwiderte ihnen: 'Wenn ich nicht an seinen Händen das Mal der Nägel sehe und meine Hand in seine Seite legen kann, so glaube ich es nicht'„23 . Warum fordert denn Thomas so energisch die Spuren des Glaubens? Warum erforscht er denn so grausam noch den Auferstandenen, der doch so geduldig gelitten hat? Warum reißt er die Wunden, die eine frevlerische Hand ihm beigebracht hat, wieder mit seiner frommen Rechten auf? Warum sucht die Hand des Jüngers die Seite, die die Lanze eines gottlosen Kriegers geöffnet hat24 , noch einmal aufzurühlen? Warum will denn die Neugier eines lieblosen Jüngers jene Schmerzen wieder erneuern, die die Wut der Feinde ihm zugefügt hat? Warum will denn der Schüler nur aus den Qualen den Herrn, aus den Peinen den Gott, aus den Wunden den himmlischen Arzt erkennen?
Vernichtet ist die Macht des Teufels, offen steht der Kerker der Unterwelt, gesprengt sind die Banden der Toten, umgestürzt die Gräber durch den Tod des Herrn und das ganze Werk des Todes umgewandelt durch die Auferstehung des Herrn. Von dem hochheiligen Grabe des Herrn ist weggewälzt der Stein, die Leintücher sind gelöst, der Tod ist geflohen vor der Herrlichkeit des Auferstehenden, zurückgekehrt ist das Leben, auferstanden der Leib, der keinen Verfall mehr kennt. Und du, Thomas! Warum forderst du, als ein allzu schlauer Untersucher, für dich allein, dass dir die Wunden des Herrn gezeigt werden, um dich zum Glauben zu bewegen? Was hättest du nun, wenn auch diese mit allem andern vernichtet worden wären? Welche Gefahr hätte dann diese deine Neugier deinem Glauben gebracht? S. 247Meinst du, du hättest kein anderes Kennzeichen der Liebe, keinen anderen Beweis der Auferstehung des Herrn finden können, wenn du nicht die Brust des Herrn, die die Grausamkeit der Juden so tief aufgewühlt hat, wieder mit deinen Händen durchfurcht25 hät test? Dieses Verlangen, Brüder, stellte die Liebe, so forderte es die Erge benheit, damit auch in Zukunft der Unglaube nicht mehr zweifeln könne an der Auferstehung des Herrn. Und so heilte Thomas dadurch nicht nur den Zweifel seines eigenen Herzens, sondern auch die Unwissenheit aller Menschen. Im Begriffe, hinzugehen und es unter den Heiden zu verkünden, erforschte er, genau untersuchend, wie er dieses große Glaubensgeheimnis begründen könne. In der Tat: mehr ein prophetisches Schauen als ein Zweifel! Denn wie hätte er eine solche Forderung nur stellen können, wenn er nicht in prophetischem Geiste erkannt hätte, dass von dem Herrn einzig zum Erweise seiner Auferstehung diese Wundnarben bewahrt worden seien? Schließlich gewährt auch der Herr aus freien Stücken den übrigen, was jener allzu zaudernd verlangte. “Es kam Jesus„, heißt es, “trat in ihre Mitte und zeigte ihnen seine Hände und seine Seite„26 . Denn da er eingetreten war bei verschlossenen Türen und auch von den Jüngern für einen Geist mit Recht gehalten wurde27 , konnte er sich selbst nicht anders als durch die Leiden seines Leibes, durch die Mahle seiner Wunden den Zweifelnden als wirklich erweisen.
“Dann kommt er zu Thomas und spricht: 'Lege deinen Finger hierher und sieh meine Hände! Reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite; und sei nicht ungläubih, sondern gläubig!'28 . Über den ganzen Erdkreis sollen diese meine Wunden, die du selbst wieder öffnetest, den Glauben ausgießen, wie sie schon das Wasser zum Bade der Wiedergeburt29 , das Blut als Erlösungspreis für alle30 ausgegossen haben! S. 248„Da rief Thomas aus und sprach; 'Mein Herr und mein Gott!'“31 . So mögen denn kommen und hören die Irrlehrer32 und, wie der Herr gesagt hat, „sie wollen sein nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Seht da, dies Wort des Thomas bekundet nicht nur den menschlichen Leib, sondern durch die Leiden des leidensfähigen Leibes33 , dass Christus Herr und Gott ist zugleich. Und in Wahrheit ist er Gott, der lebt aus dem Tode, der auferstanden ist aus seinen Wunden. Und weil er dies alles imd so furchtbare Leiden erduldet hat34 , lebt und herrscht er [nun auch] als Gott durch alle Ewigkeit. Amen.
Joh 20,19 ↩
Ps 54,6 ↩
Joh 20,19 ↩
die Irrlehren sind gemeint ↩
divinitas crassata mysterio corporis nostri ↩
verstehe von dem hortus conclusus, fons signatus des jungfräulichen Schoßes Mariens [Hl 4,12] ↩
denn der Stein wurde erst nach der Auferstehung durch den Engel weggewälzt ↩
Joh 20,19 ↩
ebd 20,19 ↩
ebd 20,20 ↩
ebd 20,21 ↩
Mt 26,70 ff. ↩
Mk 14,51f. ↩
Joh 20,25 ↩
Mk 14,50 ↩
ein deutlicher Beweis für die Lehre vom Primat Petri ↩
Joh 20,21 ↩
non minorat filium, sed declarat ↩
d. i. als sei der Sohn, weil er gesandt wurde, geringer als der Vater, der sandte ↩
Joh 20,23 ↩
ebd 20,22f. ↩
Gemeint sind die Montanisten, die den in eine schwere Sünde gefallenen Menschen zwar an die Barmherzigkeit Gottes wiesen, der Kirche aber die Macht absprachen, die Sünden zu vergeben. Dasselbe lehrten die Novatianer ↩
Joh 20,25 ↩
ebd 19,34 ↩
es ist mit Januel resulcares statt sulcares zu lesen, wie auch vorher Migne resulcat ↩
Joh 20,19f. ↩
Lk 24,37 ↩
Joh 20,27 ↩
Job 3,5 ↩
vgl. Lk 22,20 ↩
Joh 20,28 ↩
die Arianer sind gemeint ↩
per poenales corporis passiones ↩
vgl. Lk 24,26 ↩
